Die Bezeichnung Psychotherapie griech. ψυχοθεραπεία, psycho Seele und therapía – Heilen) steht als Oberbegriff für alle Formen psychologischer Verfahren, die ohne Einsatz medikamentöser Mittel auf die Behandlung psychischer und psychosomatischer Krankheiten, Leidenszustände oder Verhaltensstörungen abzielen. Dabei finden psychologische, d.h. wissenschaftlich fundierte Methoden verbaler und nonverbaler Kommunikation systematische Anwendung. Es gibt verschiedene Psychotherapieformen. Die Verhaltenstherapie beinhaltet Veränderungen der sozialen Umgebung und Interaktion. Das Ziel ist hierbei die Ausbildung und Förderung von Fähigkeiten und die Ermöglichung einer besseren Selbstregulation. Beispielsweise versucht die kognitive Verhaltenstherapie dem Betroffenen seine Gedanken und Bewertungen bewusst zu machen, diese gegebenenfalls zu korrigieren und in konkrete Verhaltensweisen umzusetzen. In der Tiefenpsychologie (z. B. der Psychoanalyse) findet eher eine Auseinandersetzung mit "dem Unbewussten" (oder Nichtgewussten) statt, um die Hintergründe und Ursachen des Leidens zu klären. In Europa ist der Zugang zur Berechtigung zur Ausübung von Psychotherapie unterschiedlich geregelt. In Deutschland sind dazu Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sowie ärztliche und psychologische Psychotherapeuten und in beschränktem Ausmaß auch Heilpraktiker befugt, die allerdings die Berufsbezeichnung Psychotherapeut nicht führen dürfen. In Österreich ist die Ausbildung und Berufsberechtigung im Sinne des geltenden Psychotherapiegesetzes weiter geregelt. Insgesamt ist Psychotherapie nur in elf EU-Staaten gesetzlich geregelt.
Der Begriff Psychotherapie
Wissenschaftliche Definitionen Aus der Perspektive wissenschaftlicher Psychologie oder Psychotherapieforschung ist Psychotherapie die auf wissenschaftlichem Wege gefundene, besondere Form einer kontrollierten menschlichen Beziehung, in der der Therapeut die jeweils spezifischen Bedingungen bereitstellt, um für einen oder mehrere Patienten Veränderungen in Richtung einer Verminderung/Heilung von seelischem/körperlichem Leiden zu ermöglichen. Auch eine gleichzeitige persönliche Weiterentwicklung kann mit Psychotherapie verbunden oder sogar ihr ausdrückliches Ziel sein. Durch die jeweils besondere Beziehungsgestaltung und die ausgewählten Anregungen des Psychotherapeuten, die „Methoden“ genannt werden, steigert der Patient die Fähigkeit, besser mit sich und seinen Problemen umgehen zu können, um ein Mehr an geistigem/seelischem und körperlichem Wohlbefinden zu erreichen. Gleichzeitig erfährt er auf unterschiedlichen Ebenen die verursachenden Zusammenhänge für sein Leiden. Eine weitere Definition stammt aus dem Jahre 1978 vom Wiener Psychotherapeuten Hans Strotzka: „Psychotherapie ist ein bewusster und geplanter interaktioneller Prozess zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen, die in einem Konsensus (möglichst zwischen Patient, Therapeut und Bezugsgruppe) für behandlungsbedürftig gehalten werden, mit psychologischen Mitteln (durch Kommunikation) meist verbal aber auch averbal, in Richtung auf ein definiertes, nach Möglichkeit gemeinsam erarbeitetes Ziel (Symptomminimalisierung und/oder Strukturänderung der Persönlichkeit) mittels lehrbarer Techniken auf der Basis einer Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens.“
Abgrenzung von anderen professionellen Beziehungen Das psychotherapeutische Setting wird wegen seiner juristischen wie theoretischen Rahmenbedingungen von anderen Formen der professionellen (Arbeits-) Beziehung formal deutlich, aber von Land zu Land unterschiedlich unterschieden. So sind in Deutschland z. B. Beratungsgespräche mit Lehrern, Sozialarbeitern, und auch Seelsorgegespräche keine Psychotherapie. Inhaltlich überschneiden sich Therapie, Beratung, Seelsorge, Selbsterfahrung oft bis in Kernbereiche. Auf dem Kontinuum zwischen der „Behandlung von Krankhaftem“ bis zur „Entwicklung von Ressourcen“ ist Psychotherapie nur unbefriedigend abzugrenzen. Verschiedene Therapie-Richtungen integrieren zusätzlich zu Psychischem auch Spiritualität, Soziales, Politisches, etc. Formal handelt es sich dann nicht um Psychotherapie, wenn keine Störungen oder Krankheiten beeinflusst werden sollen, wie z. B. in Selbsthilfegruppen, Selbsterfahrungsgruppen, Supervisionen, Trainings- oder Coachinggruppen, in allgemeiner Lebensberatung; wenn dem therapeutischen Handeln keine wissenschaftliche Theorie und keine überprüfbaren Anschauungen zugrundeliegen, sondern die „Behandlung“ sich ausschließlich auf die persönlich gewonnenen oder in einer bestimmten Gruppe tradierten Erfahrungen stützt, wie in manchen paramedizinischen und esoterischen Kontexten; wenn keine (schriftliche oder mündliche) Vereinbarung zu einer Psychotherapie vorliegt; wenn die Ziele des Therapieprozesses nicht festgelegt werden oder diese Ziele nicht offen besprochen werden; wenn ausschließlich Behandlungen mit Medikamenten erfolgen; wenn also keine persönliche Interaktion zwischen dem Patienten oder Klienten und dem Psychotherapeuten vorliegt (wenn z. B. „therapeutische Mitteilungen“ ausschließlich in der Form von Rundbriefen, Audio- oder Videokassetten etc. verbreitet werden); wenn an die Stelle therapeutischer Techniken lediglich die charismatische Persönlichkeit des Behandelnden als therapeutisches Wirkprinzip tritt.
Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie (WBP) Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP), verantwortlich für Gutachten zur wissenschaftlichen Anerkennung von Psychotherapieverfahren (§ 11 Psychotherapeutengesetz), arbeitet auf Grundlage folgender Definition: Psychotherapie ist die Behandlung von Individuen auf der Basis einer Einwirkung mit überwiegend psychischen Mitteln. Die Definition wissenschaftlicher Psychotherapie fordert eine Reihe von weiteren Bedingungen, z. B. das Anstreben der positiven Beeinflussung von Störungs- und Leidenszuständen in Richtung auf ein nach Möglichkeit gemeinsam erarbeitetes Ziel (z. B. Symptomminimalisierung und/oder Strukturveränderungen der Persönlichkeit) sowie einen geplanten und kontrollierten Behandlungsprozess, der über lehrbare Techniken beschrieben werden kann und sich auf eine Theorie normalen und pathologischen Verhaltens bezieht. Wissenschaftliche Psychotherapie sollte als Heilbehandlung im Rahmen des jeweiligen Gesundheitssystems zu bestimmen sein.
Psychotherapieverfahren
Es besteht eine Vielzahl von Schulen und Methoden, manche sind in erster Linie historisch bedeutsam, bei anderen handelt es sich um Weiterentwicklungen, Spezialisierungen oder Abspaltungen. Nicht alle Ansätze nehmen in Anspruch, zur Heilung psychischer Störungen beitragen zu können. Es gibt auch Methoden, die nicht für die Psychotherapie konzipiert wurden, sondern für Beratung und Coaching oder als Selbsterfahrungstechnik. Liste von Psychotherapie- und Selbsterfahrungsmethoden Insgesamt gibt es zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Fülle psychotherapeutischer Ansätze und Methoden. Im Gesundheitswesen der deutschsprachigen Länder spielen aber nicht alle davon eine Rolle. Aus der wissenschaftlichen Psychologie (insbesondere der Klinischen Psychologie) wird angestrebt, sich allgemeinen wissenschaftlichen Standards der empirischen medizinischen Forschung anzupassen und Psychologische Therapie / Psychologische Psychotherapie als eine von Therapieschulen losgelöste Psychotherapieform zu etablieren, in der, soweit möglich, wissenschaftlich-fundiert nach Gesichtspunkten der evidenz-basierten Medizin behandelt (und evaluiert) wird. Es wird also das angewendet, was bei einem bestimmten Störungsbild und unter Berücksichtigung der Situation des Patienten wissenschaftlich als am besten wirksam belegt angesehen werden muss (was nicht mit dem in der Praxis oft anzutreffenden Eklektizismus verwechselt werden sollte). Die Tendez geht in die Richtung einer Integration der verschiedenen Richtungen. Ref: (Grawe 1994)
Psychotherapieschäden Als Psychotherapieschaden ist anzusehen, wenn Klienten sich nach der Psychotherapie seelisch schlechter und/oder weniger funktionsfähig fühlen als vor der Psychotherapie, oder wenn neben einigen Verbesserungen der seelischen Gesundheit in anderen Bereichen Verschlechterungen eintreten, besonders dann, wenn die Verbesserungen eher in den seelischen Nebenbereichen gegeben sind, und nicht in dem Hauptbereich der seelischen Beeinträchtigungen, derentwegen die Klienten zur Psychotherapie kamen. Ein Therapieschaden liegt auch vor, wenn keine, nur geringfügige oder nur kurzzeitige Verbesserungen eintreten, obwohl bei qualifizierteren Psychotherapeuten größere konstruktive Änderungen durchaus möglich gewesen wären. Die Rate für Psychotherapieschäden wird bei zehn Prozent angesetzt. Es gibt negative Prädiktoren und Ausschlusskriterien, die eine Psychotherapie vorab nicht zweckmäßig erscheinen lassen können. Hierzu gehören neben schweren Depressionen und Psychosen weitere unterschiedliche Kriterien in Abhängigkeit vom Verfahren der Psychotherapie. (Quelle:Psychotherapeut 2007; aop: 10.1007/s00278-007-0578-2)
Psychotherapieschäden entstehen z. B., wenn ein Patient angenommen wird, ohne dass sich der Therapeut dem Fall ausreichend gewachsen fühlt, oder wenn bezüglich der Problematik keinerlei Erfahrungen vorliegen, ebenso in Fällen mangelhafter Diagnostik und Therapieplanung. Möglicherweise werden angebotene Symptome nicht kritisch hinterfragt oder es wird versäumt, ein nachprüfbares, dem Realitätsrahmen entsprechendes Behandlungskonzept zu entwickeln. Ein beträchtlicher Fehler kann darin bestehen, dass dem spezifischen Einzelfall, auch vor dem Hintergrund des sozialen Umfeldes und der konkreten Lebenssituation, nicht angemessen Rechnung getragen wird. Ein Therapieschaden entsteht auch dadurch, dass Therapiemethoden oder -techniken nicht angewendet werden, obwohl allgemein bekannt ist, dass sie für ein umschriebenes Problem sehr wirkungsvoll sind. Ein weiteres Problem ist der mangelhafte Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung, oder der Aufbau einer unnötig starken Bindung, und damit ein Abhängigmachen mit den entsprechenden Ablösungsproblemen. Kritik, negative Rückmeldungen und verstärktes negatives Befinden von Patienten führen häufig nicht zu verstärkter Reflexion, Supervision oder einer notwendigen Veränderung der Therapiemethode. Behandlungsziele dürfen auch nicht gegen den Willen von Patienten verfolgt werden und es darf nicht zu sehr oder sogar gewaltsam in die Persönlichkeit eingedrungen werden, ohne dass dies nach den Therapiezielen erforderlich wäre. Durch die für den Patienten besondere Bedeutung der Beziehung zum Therapeuten können auch leichte Unaufmerksamkeiten zu ernsthaften Verletzungen führen (Mikrotrauma), insbesondere wenn sie wiederholt auftreten und unbemerkt und ungeklärt bleiben. Beispiele sind: unpünktlicher Behandlungsbeginn, Details falsch wiedergeben, Ablenkung der Aufmerksamkeit, Vergessen von Absprachen und ähnliches. Des Weiteren sind persönliche Defizite und Probleme der Psychotherapeuten Ursache von Therapieschäden: Häufig ausgebrannt sein, auch eigene psychische Störungen, die zu schwerwiegenden Verstrickungen führen können, wie z. B. zu narzisstischem, wirtschaftlichem oder sexuellem Missbrauch.
Rolle in den gesetzlichen Gesundheitssystemen
Nicht alle Psychotherapieverfahren sind überall staatlich anerkannt und werden von allen Krankenkassen finanziert. Dahinter stehen berufsständische Interessenskämpfe (zwischen Medizinern, Psychologen und andere Berufe), sowie die Konkurrenz der Psychotherapie-Schulen untereinander und uneinheitliche Wirksamkeitsuntersuchungen. In der Schweiz und in Österreich ist die methodische Freiheit und Verantwortung des Therapeuten sehr viel weiter gefasst als in Deutschland. In der Schweiz wird nicht nach Methoden unterschieden. Entscheidend ist die Qualifikation des Therapeuten. Zugelassen sind psychotherapeutisch ausgebildete Ärzte, die ihrerseits psychotherapeutisch ausgebildete Psychologen anstellen können. Diese Therapien werden von der obligatorischen Krankenversicherung finanziert. Private Versicherungen unterliegen keinen Beschränkungen.Die Zulassung von Therapiemethoden erfolgt durch die Schweizerische CHARTA für Psychotherapie, den Schweizerischen Berufsverband für angewandte Psychologie (SBAP)[6], den Schweizerischen PsychotherapeutInnen-Verband (SPV) sowie die Föderation Schweizerischer Psychologen (FSP). In Österreich besteht keine Beschränkung auf Quellberufe, wie Arzt oder Psychologe. Entscheidend für die Eintragung als Psychotherapeut ist eine zweistufige Ausbildung, die mindestens fünf Jahre dauert und aus einem allgemeinen Teil, dem Psychotherapeutischen Propädeutikum, und einem Fachspezifikum besteht. Zugelassen sind derzeit 22 Verfahren, die in der untenstehenden Tabelle gelistet sind.
In Deutschland ist die Psychotherapie streng reglementiert und stark an die ärztliche Versorgung gekoppelt. Außer Ärzten dürfen – im eingeschränkten Ausmaß – nur Psychologen und Heilpraktiker psychotherapeutisch arbeiten. Jährlich werden etwa 900 Mio. Euro über das KV-System, also im Rahmen der GKV, an die psychologischen Psychotherapeuten verteilt. Die anerkannten Verfahren sind im wesentlichen drei, die im Einzel- und im Gruppensetting für Erwachsene und auch für Kinder und Jugendliche angeboten werden dürfen: Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie als Kurztherapie, Fokaltherapie oder dynamische Psychotherapie, Analytische Psychotherapie nach Sigmund Freud, C.G. Jung oder Alfred Adler, sowie Verhaltenstherapie mit verschiedenen Schwerpunkten. Außerdem können Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung und Hypnose als Einzelbehandlung genehmigt und finanziert werden. Die Heilmittelverordnung erkennt auch Ergotherapie an, innerhalb der Gestaltungstherapie und Arbeitstherapie stattfinden kann.
Richtung Methode Gründer Deutschland Österreich Schweiz analytisch Psychoanalyse Sigmund Freud Individualpsychologie Alfred Adler Analytische Psychologie C. G. Jung Gruppenpsychoanalyse Pratt, Burrow, Schilder tiefenpsychologisch Autogene Psychotherapie Johannes Heinrich Schultz – – Daseinsanalyse Ludwig Binswanger – Dynamische Gruppenpsychotherapie Raoul Schindler – Hypnosepsychotherapie Milton Erickson (1) Katathym-Imaginative Psychotherapie Hanscarl Leuner Konzentrative Bewegungstherapie Gindler, Stolze, Cserny – – Transaktionsanalyse Eric Berne – humanistisch Existenzanalyse und Logotherapie Viktor Frankl – Gestalttherapie Perls, Perls, Goodman – Gesprächspsychotherapie[12] Carl R. Rogers (2) Psychodrama Jakob L. Moreno – behavioristisch Verhaltenstherapie Kanfer, Lazarus, Ellis u.a. systemisch Systemische Therapie Satir, Haley, Jackson u.a. (2) kombinatorisch Integrative Therapie Hilarion Petzold – Neuro-Linguistische Psychotherapie Peter Schütz – – körperorientiert Bioenergetische Analyse Wilhelm Reich, Alexander Lowen – – Biosynthese David Boadella – – Körperpsychotherapie verschiedene Schulen – – kunstorientiert Kunst- und ausdrucksorientierte Therapien verschiedene Schulen – –
(1) Hypnosetherapie: in Deutschland Einzelbehandlung für Erwachsene anerkannt, muss von einem Arzt durchgeführt werden (2) Gesprächstherapie und Systemischetherapie: in Deutschland für Erwachsene anerkannt (nach Berufsrecht), wird allerdings von den Kassen noch nicht finanziert (nach Sozialrecht)
Deutschland Berufsrecht Psychotherapie wird in Deutschland ausschließlich von Ärzten (mit einer entsprechenden psychotherapeutischen Zusatzausbildung) oder von Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut) sowie von Heilpraktikern für Psychotherapie durchgeführt. Seit 1999 gilt in Deutschland das Psychotherapeutengesetz, welches die Berufsbezeichnung „Psychotherapeut“ erstmals gesetzlich geschützt hat (nicht jedoch die Gebietsbezeichnung „Psychotherapie“). Neben Ärzten, für die eigene berufsrechtliche Regelungen gelten, können nur Diplom-Psychologen (für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie auch Musiktherapeuten, Kunsttherapeuten, Diplom-Pädagogen und Sozialpädagogen) nach erfolgreicher Absolvierung einer staatlich anerkannten Ausbildung, bei Vorliegen bestimmter, im Psychotherapeutengesetz festgelegter Voraussetzungen, die staatliche Approbation erhalten. Psychologische Psychotherapeuten haben zunächst Psychologie (Diplom-Psychologie) studiert (dabei müssen sie während des Hauptstudiums den Schwerpunkt Klinische Psychologie belegen) und absolvieren anschließend eine mehrjährige theoretische und praktische Psychotherapieausbildung, bevor sie die entsprechende staatliche Zulassung (Approbation, „Bestallung“ zur Ausübung der Heilkunde) erhalten. Die Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten beinhaltet etwa doppelt so viele theoretische Stunden wie die Facharztausbildung. Somit haben Psychologische Psychotherapeuten ein größeres theoretisches Wissen über Psychotherapie und insbesondere Psychotherapieforschung. Die ärztlichen Psychotherapeuten haben hingegen ein größeres theoretisches Wissen in der Pharmakotherapie. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten studieren zunächst Psychologie, Medizin, Musiktherapie, Kunsttherapie, Pädagogik oder Sozialpädagogik. Nach dem Studium erfolgt analog zu den Psychologischen Psychotherapeuten eine mehrjährige Zusatzausbildung mit anschließender Approbation. Ärzte bilden sich nach Abschluss ihres Medizinstudiums entweder zum „Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie“, zum „Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie“ (oft in Kombination mit dem „Facharzt für Neurologie“) oder „Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie“ weiter, oder sie erwerben – nach einer beliebigen (nicht psychotherapie-gebundenen) Spezialisierung oder Facharztausbildung – zusätzlich die berufsbegleitenden Zusatzqualifikationen „Psychotherapie“ oder „Psychoanalyse“. Heilpraktiker für Psychotherapie haben sich heute weniger autodidaktisch (aufgrund der Prüfungsanforderungen nicht mehr möglich), sondern im Rahmen einer schulischen Fortbildung bei Instituten oder Akademien, oftmals auch aufgrund ihrer lebenspraktischen Berufserfahrung als Gesundheits- und Krankenpfleger, psychologische Berater, Coach, auf die amtsärztliche Überprüfung zur Zulassung als Heilpraktiker bei ihrem zuständigen Gesundheitsamt vorbereitet, um die „staatliche Zulassung zur Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung auf dem Gebiet der Psychotherapie“ zu erhalten. Hierzu gehören auch Diplom-Psychologen, Musiktherapeuten und Kunsttherapeuten die keine Approbation gemacht haben. Diese können ebenfalls eine Zulassung nach dem HPG beantragen, wenn sie klinische Psychologie als Hauptfach hatten und eine Ausbildung in einem Psychotherapieverfahren nachweisen können. Dann kann von einem Überprüfungsverfahren abgesehen werden. Bei manchen Gesundheitsämtern muss eine Prüfung abgelegt werden. Sozialrecht Die gesetzliche Krankenversicherung und damit auch deren Verfahrensweise bezüglich der Psychotherapie ist im Fünften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB V) geregelt. § 92 bestimmt, dass der so genannte Gemeinsame Bundesausschuss „Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten“ beschließt. Diese Richtlinien regeln für die Psychotherapie insbesondere: behandlungsbedürftige Krankheiten zur Krankenbehandlung geeignete Verfahren Antrags- und Gutachterverfahren probatorische Sitzungen Art, Umfang und Durchführung der Behandlung sowie den ärztlichen Konsiliarbericht
Dabei können Leistungen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden, „wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind“.
Erkrankungen Erste Voraussetzung für eine Psychotherapie zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ist, dass „eine seelische Krankheit“ (auch psychische Erkrankung oder psychische Störung genannt = F-Diagnose nach ICD-10) vorliegt. Im Einzelfall kann es hier schwierig sein, z. B. zwischen normaler Traurigkeit nach Verlusterlebnissen (ICD-10-Diagnose ist nicht möglich, nur, wenn eine Anpassungsstörung vorliegt!) und depressiver Verstimmung (ICD-10 z. B.: F32 oder F43.21) zu unterscheiden. Liegt ein normales Erleben vor, wäre die Anwendung von Methoden der Psychotherapie als Beratung zu werten und fiele nicht in die Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung. Liegt hingegen eine psychische Erkrankung nach den Kriterien der ICD-10 vor, so ist eine Indikation zur Psychotherapie zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich.
Therapieverfahren Bislang gilt die Einschränkung auf drei Therapieverfahren: Verhaltenstherapie als Verfahren, sowie die tiefenpsychologischen Verfahren: Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Analytische Psychotherapie in der es drei generelle theoretische Richtungen gibt: einmal die Psychoanalyse nach Sigmund Freud, die Analytische Psychologie nach Carl Gustav Jung und die Individualpsychologie nach Alfred Adler. Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie empfahl im Mai 2002 die Gesprächspsychotherapie als „wissenschaftlich anerkanntes Verfahren“ mit aufzunehmen. Die Behandlung mit Gesprächspsychotherapie wird derzeit nicht von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Die hierfür notwendige sozialrechtliche Anerkennung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, welche Voraussetzung für die Kostenerstattung ist, steht noch aus. Für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie ist die Gesprächspsychotherapie nicht anerkannt. Unter den in Deutschland nicht anerkannten Verfahren finden sich zwar einige nutzlose, fallweise sogar gefährliche Entwicklungen, aber auch traditionsreiche, neue oder etablierte Ansätze mit vielversprechenden Ideen, die in anderen europäischen Ländern bereits anerkannt sind.
Behandler Leistungserbringer der Psychotherapie im System der gesetzlichen Krankenversicherung sind als Vertragsärzte oder -psychotherapeuten in der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassene Psychotherapeuten. Voraussetzungen für diese Kassenzulassung ist eine berufsrechtliche Zulassung (Approbation). Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sind dabei den entsprechend qualifizierten Fachärzten gleichgestellt. Für den Patienten besteht Wahlfreiheit. Bei mutmaßlicher Psychotherapie-Unterversorgung kann auch ohne Kassenzulassung im Einzelfall ein fachlich geeigneter approbierter Psychotherapeut oder auch ein HP-Psychotherapie zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung außervertraglich Psychotherapie erbringen; in solchen Fällen wird i. d. R. vorab der Medizinische Dienst der Krankenversicherung beratend von der Krankenkasse hinzugezogen, dieser hat aber nur zu entscheiden, ob eine psychotherapeutische Behandlung angezeigt ist und ob das angegebene Psychotherapieverfahren den Richtlinien des Bundesausschusses entspricht.
Pflichten Ergänzende Anmerkung: Gespräche von niedergelassenen Kollegen mit psychisch Kranken, die den o.a. Kriterien nicht entsprechen und die z. B. im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung erbracht werden, haben eher stützenden oder die weitere Therapie (z. B. Psychotherapie) anbahnende Funktion. Sie können eine Psychotherapie nicht ersetzen. Es besteht für die niedergelassenen Kollegen nach § 95d SGB V die Verpflichtung zur kontinuierlichen Fortbildung (Erwerb von derzeit 250 CME-Punkten in fünf Jahren), sonst droht Honorarabzug oder im nächsten Schritt der Entzug der Zulassung durch die zuständige Krankenkasse. Im Bereich der Psychotherapie stellt das vorgeschriebene Gutachterverfahren eine qualitätssichernde Maßnahme dar. Schon das in § 12 SGB V festgeschriebene Wirtschaftlichkeitsgebot impliziert, dass eine zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachte Leistung eine ausreichende Qualität haben muss; ansonsten wäre ihre Erbringung nicht zweckmäßig, nicht ausreichend und in der Konsequenz unwirtschaftlich. §§ 73c, 135a, 136, 136a und 136b SGB V und § 11 des BMV-Ä regeln – allerdings recht allgemein gehalten – die Qualitätssicherung im vertragsärztlichen Bereich. Es besteht eine Verpflichtung zur Einrichtung eines Qualitätsmanagement-Systems in der Praxis, allerdings keine Pflicht zur Erlangung eines Zertifikats, d. h. der Bestätigung der Qualität durch qualifizierte Dritte.
Antrags- und Gutachterverfahren Weitere Voraussetzung für Psychotherapie sind Psychotherapie-Fähigkeit des Patienten (der Patient muss intellektuell und motivational dazu in der Lage sein, von Psychotherapie zu profitieren) und das Vorliegen einer adäquaten Diagnostik und eines angemessenen Behandlungsplanes. Anders als bei anderen Verfahren im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ist in der Langzeittherapie, z. T. auch in der Kurzzeitherapie bei unerfahreneren Therapeuten durch ein vorgeschaltetes Gutachterverfahren seit Jahren eine Qualitätssicherung implementiert (Antragsverfahren). Jede Langzeittherapie erfordert einen Antrag, in dem Anamnese, Diagnostik, Krankheitsgenesemodell und eine detaillierte Therapieplanung aufgeführt sind. Der Antrag wird von einem qualifizierten externen Gutachter (i. d. R. niedergelassener Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder für Psychosomatik und Psychotherapie) geprüft. Erst nach Zustimmung durch den Gutachter kann eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung erfolgen (siehe hierzu auch § 11, Anlage 1 zum Bundesmanteltarifvertrag). Probatorische Sitzungen, Art, Umfang und Durchführung der Behandlung [Bearbeiten] Sowohl Einzeltherapie als auch Gruppentherapie ist im ambulanten Bereich möglich. Die Abrechnung erfolgt über den Einheitlichen Bewertungsmaßstab. Die Zeitkontingente für Psychotherapie sind festgelegt. Nach fünf (Verhaltenstherapie und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie) oder acht (analytische Psychotherapie) probatorischen Sitzungen, die zur Indikationsprüfung dienen, kann eine Kurzzeittherapie mit bis zu 25 Stunden erfolgen. Bei nichtärztlichen Therapeuten ist außerdem vor Beginn der Therapie ein ärztlicher Konsiliarbericht erforderlich, der u.a. das Nichtvorhandensein einer körperlichen Erkrankung bescheinigt und Fragen der Medikamenteneinnahme klärt. Besteht Bedarf für eine längere Therapie, kann eine Langzeittherapie erfolgen (eine Kurzzeittherapie kann ggf. in eine Langzeittherapie auf Antrag umgewandelt werden).
Die Höchstgrenzen für Langzeittherapien sind bei Erwachsenen (für Kinder und Jugendliche gelten etwas niedrigere Stundenzahlen): Bei Verhaltenstherapie bis zu 45 Stunden, dann erfolgt in Einzelfällen nach Begründung eine Verlängerung auf 60 Stunden. bei analytischer Psychotherapie bis zu 160 Stunden, in besonderen Fällen bis zu 240 Stunden. bei tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie bis zu 50 Stunden, in besonderen Fällen bis zu 80 Stunden. In begründeten Einzelfällen können diese Zeiten überschritten werden und zwar bei Verhaltenstherapie auf 80 Stunden, in Einzelfällen mit einem weiteren Antrag auf 100 Stunden, bei analytischer Psychotherapie bis zu 300 Stunden, bei tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie bis zu 100 Stunden.
Bedingungen der privaten Krankenversicherungen Die Bedingungen der privaten Krankenversicherungen sind unterschiedlich. Grundsätzlich orientieren sie sich an den gesetzlichen Verfahrensweisen, haben aber im einzelnen oft etwas großzügigere Regelungen, so bei Behandlern und Therapieverfahren. Vor Beginn einer Therapie muss jedoch in der Regel eine schriftliche Zustimmung der Versicherung eingeholt werden.
Verbraucherschutz Es empfiehlt sich, den Therapeuten oder die Therapeutin vor Beginn der Therapie in einem Erstgespräch kennenzulernen. Bei Therapie im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung sind bis zu fünf (bei tiefenpsychologisch fundierter PT und Verhaltenstherapie) oder acht (bei analytischer PT) Schnupper-Sitzungen („probatorische Sitzungen“) pro Psychotherapeut möglich, um zu prüfen, ob eine tragfähige Arbeitsbeziehung aufgebaut werden kann. Dabei sollten die Kosten und Dauer der Therapie, sowie die sonstigen Rahmenbedingungen abgestimmt werden. Erst nach dieser Phase, in der auch die Therapieziele und der Behandlungsplan besprochen werden, wird ein Antrag auf Psychotherapie gestellt und die eigentliche Therapie beginnt. Eine übereilte oder falsche Entscheidung für einen Therapieplatz kann das ursprüngliche Problem auch verschärfen. Nach einem Therapieabbruch kann die Bewilligung einer Nachfolgetherapie durch die Krankenkasse in Frage gestellt sein. Beim Verdacht auf einen Behandlungsfehler können Psychotherapieklienten, die sich durch eine Therapie geschädigt fühlen, an die Patientenberatung einer Verbraucherzentrale wenden. Sie erhalten dort eine Einschätzung aus juristischer Sicht sowie Hinweise, wie sie mit den Folgen einer aus ihrer Sicht erfolglosen Therapie umgehen können.
Österreich In Österreich kann Psychotherapie nach dem Ärztegesetz, näheres siehe PSY-Diplome und weiter unten im Text, oder dem Psychotherapiegesetz von 1990 durchgeführt werden. Das regelt den Beruf des Psychotherapeuten. Es legt etwa die Voraussetzungen für die Ausbildung, die Ausbildung selbst, die Berufsbezeichnung, die Berufspflichten, den Listeneintrag, den Psychotherapiebeirat sowie Strafbestimmungen und das Verhältnis zu anderen Vorschriften fest. Der Zugang zur Ausbildung erfolgt über im Gesetz angeführte zuvor absolvierte Studien und/oder Ausbildungen (Quellenberufe): etwa das Studium der Medizin, der Pädagogik, der Philosophie, der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften, der Theologie, an einer Akademie oder Fachhochschule für Sozialarbeit oder an einer Pädagogischen Akademie, die Ausbildung zur Diplom Gesundheits- und Krankenpflege. Zudem können Personen „Auf Grund besonderer Eignung“ auf Basis eines Gutachten des Psychotherapiebeirats zugelassen werden. Die Grundausbildung („Psychotherapeutisches Propädeutikum“) dauert etwa 2 1/2 Jahre. Das „psychotherapeutische Fachspezifikum“ dient der Ausbildung in einer der anerkannten Methoden und dauert mindestens vier Jahre. Ausschließlich Ärzte können die Berechtigung zur selbständigen Ausübung von Psychotherapie mit dem ÖÄK-Diplom für Psychotherapeutische Medizin der Österreichischen Ärztekammer erlangen. Dieses Diplom wird Ärzten nach Absolvierung der vorgeschriebenen Seminare und Veranstaltungen von der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) verliehen. Inhaber dieses Diploms können auf ihrem Ärzteschild die Bezeichnung ÖÄK-Diplom für Psychotherapeutische Medizin anführen. Nähere Informationen zu diesen Fortbildungsdiplomen finden sich auf der Homepage des PSY-Referates der Österreichischen Ärztekammer oder der Homepage der ÖGPPM, der Österreichischen Gesellschaft für Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin. In Österreich sind derzeit 22 psychotherapeutische Methoden anerkannt. Ein unmittelbarer Vergleich mit den in Deutschland zugelassenen Verfahren ist dabei schwer möglich, da das österreichische Anerkennungssystem bei den Methoden stärker differenziert als das deutsche.
Schweiz In der Schweiz wird die Krankenkassen-Zulassung von psychotherapeutischen Methoden wie oben dargestellt durch die Schweizer CHARTA für Psychotherapie, den Schweizer Berufsverband für angewandte Psychologie SBAP, den Schweizer PsychotherapeutInnen-Verband SPV sowie die Föderation Schweizer Psychologen FSP organisiert. Eine gültige Methoden-Zulassung erfolgt daher bis heute nach den Aufnahme-Kriterien dieser vier Verbände. Für die Zulassung zur Führung einer Psychotherapie-Praxis (Praxisbewilligung) sind die Kantone zuständig. Seit einigen Jahren gibt es eine Diskussion über die Zulassung aller Psychotherapiemethoden, die vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie BBT ausgelöst wird.
Geschichte
Obwohl die Geschichte der „modernen“ Psychotherapie erst Anfang des 20. Jahrhunderts begann und Sigmund Freud zugeschrieben wird, findet sich eine „Beziehungsgestaltung mit dem Ziel der Linderung seelischer/emotionaler Leiden“ in allen bekannten Kulturen. Die unten genannten Psychotherapeutischen Paradigmen sind die in der heutigen akademischen sowie der außerakademischen Forschung, in der Versorgung von Menschen mit psychischen Krankheiten die gängigsten und anerkanntesten.
Frühgeschichte In vielen Kulturen war und ist die Idee der psychischen Störung nicht vorhanden oder – weit häufiger – in religiöse Kontexte eingebunden. Manche psychischen Störungen wurden als Folge (dämonischer) Besessenheiten oder Flüche verstanden. Dementsprechend wurden die „Psychotherapien“ oft von Priestern, Schamanen oder Philosophen durchgeführt. Einige der genannten Kriterien treffen auf die damaligen „Behandlungen“ durchaus zu, wie z. B. dass Störungen/Krankheiten behandelt werden sollten, dass entsprechende (explizite oder implizite) Vereinbarungen vorlagen und die Behandlungsmethoden auf dem Hintergrund der kulturell gültigen Theorien erfolgten.
Nicht immer klar davon abzugrenzen waren die „medizinischen Behandlungen“ der Frühzeit. Von den Jägern und Sammlern bis zum heutigen Tage wurde aus schamanischer Medizin, die tief in Religion und Mystizismus verankert war, die „moderne Medizin“ und als Ziel die evidenzbasierte Medizin (siehe Medizingeschichte). Die medizinische Behandlung psychischer Störungen umfasste über viele Jahrtausende sowohl die Ausführung bestimmter Rituale oder Verhaltensweisen, als auch die Verabreichung von Wirkstoffen (Drogen) aus Pflanzen (Phytopharmaka), Tieren oder Mineralien. Erste Darstellungen von psychischen Störungen verfasste bereits ca. 400 Jahre vor unserer Zeitrechnung der griechische Arzt Hippokrates. Sein Werk enthält Beschreibungen von Depressionen und Wahnvorstellungen, aber auch von Betrunkenheit und Delirien. Zur Ursache für all diese Störungen erklärte er, wie für alle anderen Krankheiten auch, ein Ungleichgewicht zwischen den Körperflüssigkeiten. Wenige Jahrhunderte später, im Mittelalter, war das Wissen um die Existenz von psychischen Erkrankungen nahezu komplett verloren gegangen. Stattdessen hielt man die Erkrankten für vom Teufel oder Geistern besessen, sperrte sie ein und traktierte sie mit meist wirkungslosen, teilweise grausamen Behandlungsmethoden. Erst im späten 18. Jahrhundert belebte der französische Arzt Philippe Pinel mit neuen Methoden die medizinische Behandlung „seelischer“ Störungen neu. Aus diesem Neuanfang entwickelte sich die Tradition der modernen Psychiatrie, bei der heute deutliche Überschneidungen mit der erst später entstandenen Psychotherapie bestehen. →Geschichte der Psychiatrie
Psychotherapiegeschichte
Psychoanalyse: Aus der Medizin und insbesondere der Psychiatrie entwickelte sich die Psychotherapie etwa zeitgleich mit der „modernen (empirischen) Psychologie“, deren Anfang in Wilhelm Wundts psychophysikalischen Experimenten ab ca. 1860 gesehen wird. Die ersten genuin psychotherapeutischen Methoden werden Sigmund Freud zugeschrieben (obwohl er auf den Arbeiten von Franz Anton Mesmer, Jean-Martin Charcot und Pierre Janet aufbaute, siehe den Artikel „Die Entdeckung des Unbewussten“). Freud begann Ende des 19. Jahrhunderts, sich mit psychischen Störungen zu befassen, und entwickelte aus seinen Forschungen die Psychoanalyse. Er lehrte seine Methodik und bildete im Laufe der Zeit viele Psychoanalytiker aus, die die Psychoanalyse weiterentwickelten oder zum Teil auch veränderten (u. a. Alfred Adler, Wilhelm Reich [siehe auch unter „Körperpsychotherapie“] und C. G. Jung).
Verhaltenstherapie: Ebenfalls am Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich vor allem an amerikanischen Universitäten aus einem radikal positivistischen Standpunkt der sogenannte Behaviorismus, der spekulative Konstrukte wie z.B. „psychische Struktur“ und „psychische Dynamik“ kategorisch ablehnte. Die „Behavioristen“ (u. a. Edward Thorndike, John B. Watson und später Burrhus Frederic Skinner) entwickelten anhand von experimentell entwickelten Lerntheorien die ersten Vorläufer der Verhaltenstherapie (siehe Konditionierung). In den 1980er Jahren fand in den verhaltenstherapeutischen Instituten die sogenannte „kognitive Wende“ statt, bei der erstmals auch in der Verhaltenstherapie Introspektion, Gedanken und Emotionen stärker in die Therapie einbezogen wurden. Daraus entwickelte sich neben spezifischen Richtungen der Verhaltenstherapie (Rational Emotive Therapie nach Ellis, Kognitive Therapie nach Beck) eine insgesamt erweiterte Verhaltenstherapie. Klientenzentrierte Psychotherapie: Bereits 1938 begann der amerikanische Psychologe Carl Rogers in seinen Psychotherapien die sogenannte Klientenzentrierte Psychotherapie zu praktizieren (die auch vielfach zu den humanistischen Psychotherapieverfahren gezählt wird). Im deutschsprachigen Raum wurde die Gesprächspsychotherapie, wie sie auch genannt wurde, vor allem durch das Ehepaar Reinhard und Annemarie Tausch bekannt.
Humanistische Psychotherapie, Gestalttherapie und Körperpsychotherapie: Im Jahr 1951 begründeten Fritz und Laura Perls und Paul Goodman die eher hermeneutisch-phänomenologisch orientierte und auf eine Förderung der Selbstwahrnehmung und Aufmerksamkeit des Patienten sich selbst gegenüber (im Engl.:„awareness“) abzielende Gestalttherapie. Diesem und nachfolgend entwickelten Therapieverfahren gemeinsam ist ein Menschenbild, das die Annahme auch „innerpsychischer“ oder unbewusster Prozesse beinhaltet. Sie gründen sich auf der sog. „humanistischen Psychologie“. Diese bemüht sich, in ihre Theorien den Menschen als ganzes einzubeziehen, sieht ihn als Beziehungswesen sowie als für sich selbst verantwortliches und entscheidendes Individuum. Aus diesem Grund ist das Ziel aller humanistischen Psychotherapien, das „gute Wesen“ des Menschen zu fördern. Eine Weiterentwicklung dieses Ansatzes besteht in der Einbeziehung des Körpers in die Diagnose und den psychotherapeutischen Prozess, wie sie schon der Psychoanalytiker Wilhelm Reich praktizierte. Modernste neurologische Forschungen (Spiegelneuronen, Damasio) erhärten diesen Ansatz der Körperpsychotherapie. Systemische Therapie: Etwa parallel zur Entwicklung des Behaviourismus forschten Psychotherapeuten und auch Sozialpädagogen weltweit an den Zusammenhängen zwischen psychischen Störungen und familiären Bedingungen. Vor allem in der Behandlung der Schizophrenien wurde in den 1960er Jahren in unterschiedlichen Instituten an familientherapeutischen oder „systemischen“ Konzepten gearbeitet. Hieraus entwickelte sich die Systemische Therapie und Familientherapie, mit ihren unterschiedlichen Ausprägungen (Strukturelle oder Strategische Familientherapie, Mehrgenerationenfamilientherapie, Lösungsorientierte Therapie). Der gemeinsame Nenner der Systemischen Therapien liegt in der Annahme, Psychische Probleme entstünden als Symptom in größeren menschlichen Systemen (z. B. Familien) und seien am einfachsten auch in diesem Zusammenhang versteh- und veränderbar, auch wenn Einzelpersonen (Indexpatienten) als „Symptomträger“ auftreten. Inzwischen werden systemische Therapien sowohl als eigenständige Behandlungsmethode gelehrt, als auch in andere Therapieformen integriert. So gibt es sowohl tiefenpsychologische als auch humanistische als auch verhaltenstherapeutische Formen der Familientherapie. Neuere Entwicklungen: In den 1980er Jahren entstanden mehrere neue Therapieverfahren, vor allem für die Behandlung von Ängsten und traumatischen Erinnerungen (z. B. EMDR nach Shapiro und Somatic Experiencing nach Levine). Zum Teil beruhen diese Methoden, die meist der Körperpsychotherapie zugeordnet werden, auf dem Bemühen, die „Achtsamkeit“ (im engl. Sprachgebrauch: „Awareness“, vergl. Gestalttherapie) des Klienten auf seine emotionalen und körperlichen Reaktionen zu stärken, zum Teil – unter anderem beeinflusst durch asiatische Philosophien (Zen Buddhismus, Traditionelle Chinesische Medizin [="TCM"]) – arbeiten sie mit der Annahme eines „Energiesystems“ im menschlichen Körper (die sogenannte „Energetische Psychologie“), und zum anderen nutzen sie neuere Erkenntnisse der bildgebenden Neurophysiologie, um psychotherapeutische Veränderungen zu erleichtern. Diese neuen Therapieverfahren sind teilweise wissenschaftlich noch nicht abgesichert und teilweise umstritten.
Literatur
Einführung Jürgen Kriz: Grundkonzepte der Psychotherapie. Beltz, Weinheim 2001, ISBN 3-621-27451-0. Bärbel Schwertfeger und Klaus Koch: Der Therapieführer. Die wichtigsten Formen und Methoden. Heyne, München 2002, ISBN 3-453-09133-7. Friedrich Beese: Was ist Psychotherapie? Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 3-525-45706-5. Rosemarie Piontek: Wegbegleiter Psychotherapie. 2. Auflage. Psychiatrie-Verlag, Bonn 2005. Gerhard Stumm und Beatrix Wirth: Psychotherapie, Schulen und Methoden. Falter, Wien 2006, ISBN 3-85439-378-4. Geschichte Klaus Grawe, R. Donati und F. Bernauer: Psychotherapie im Wandel. Hogrefe, Göttingen 1994. Regine Lockot: Erinnern und Durcharbeiten. Fischer, Frankfurt 1985. Nachdruck vom Psychosozial-Verlag, Gießen 2003, ISBN 3-89806-171-X. Henri Ellenberger: Die Entdeckung des Unbewußten. Diogenes, Stuttgart 2005, ISBN 3-257-06503-5. Kritik Francoise Castel, Robert Castel und Anne Lovell: Psychiatrisierung des Alltags. Suhrkamp, Frankfurt 1982. Johanna J. Danis: Das Strukturfeld der Psychotherapie, München 1990, ISBN 3-925350-35-7. Dieter Kleiber und Armin Kuhr (Hrsg.): Handlungsfehler und Misserfolge in der Psychotherapie. dgvt, Tübingen 1988. Jeffrey M. Masson: Die Abschaffung der Psycho therapie. Bertelsmann, München 1991. James Hillman und Michale Ventura: 100 Jahre Psychotherapie – und der Welt geht’s immer schlechter. Walter, Olten 1999, ISBN 3-530-70005-3. Michael Märtens und Hilarion Petzold (Hrsg.): Therapieschäden. Mainz 2002. Rolf Degen: Lexikon der Psycho-Irrtümer. 3. Auflage. Eichborn, Frankfurt 2005, ISBN 978-3-492-24020-8. Marie Faber: Seelenrisse auf Rezept. Mammendorf 2005, ISBN 3-86611-092-8. Albert Krölls: Kritik der Psychologie. VSA, Hamburg 2006 ISBN 3-89965-213-4. Martin Wollschläger (Hrsg.): Hirn – Herz – Seele – Schmerz. Psychotherapie zwischen Neurowissenschaften und Geisteswissenschaften. dgvt, Tübingen 2008, ISBN 978-3-87159-073-3. Nachschlagewerke Gerhard Stumm, Alfred Pritz und Paul Gumhalter (Hrsg.): Personenlexikon der Psychotherapie. Springer, Wien 2005, ISBN 3-211-83818-X. Gerhard Stumm und Alfred Pritz (Hrsg.): Wörterbuch der Psychotherapie. Springer, Wien 2007, ISBN 3-211-70772-7.
Einzelnachweise
↑ Ingo-Wolf Kittel: Mundwerk – Psychotherapie vom Standpunkt des Praktikers. In: Martin Wollschläger (Hrsg.): Hirn – Herz – Seele – Schmerz. Psychotherapie zwischen Neurowissenschaften und Geisteswissenschaften. dgvt-Verlag, Tübingen 2008, S. 25–40 ISBN 978-3-87159-073-3 ↑ Psychotherapiegesetz von 1990 ↑ Hans Strotzka (Hrsg.): Psychotherapie. München 1978, 2. Auflage, S. 4 ↑ Bundesamt für Gesundheit ↑ http://www.psychotherapiecharta.ch ↑ http://www.sbap.ch ↑ http://www.psychotherapie.ch ↑ http://www.psychotherapie.ch ↑ Das Bundesministerium unterscheidet bei Existenzanalyse, Gestalttherapie und bei Gesprächspsychotherapie zusätzlich – je nach Anbieter der Ausbildung – zwei verschiedene Unterrichtungen, die in der Tabelle nicht angeführt werden. Quelle: Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend ↑ Bescheid des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen vom 10. januar 2007, Geschäftszahl BMGF-93500/0002–1/7/2007. ↑ Fernab vom kranken Gemüt, Ärzte-zeitung, 3. Juli 2008, S. 5 ↑ Wird in Österreich als Klientenzentrierte Psychotherapie oder als Personenzentrierte Psychotherapie bezeichnet ↑ Volltext des Psychotherapiegesetzes ↑ Österreichisches Bundesministerium für Gesundheit und Frauen ↑ http://www.bbt.admin.ch/ Bundesamt für Berufsbildung und Technologie
Weblinks
Wikiquote: Psychotherapie – Zitate Psychotherapie-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses Psychotherapie-Vereinbarungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Bundespsychotherapeutenkammer: Informationen für Fachleute und Patienten, u. a. mit „Wie sieht eine psychotherapeutische Behandlung aus?“, „Psychische Störungen von A-Z“ Zeitlich geordnete Geschichte der Psychotherapie, Gesetze und Verordnungen in Deutschland
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Mit Verhaltenstherapie wird ein ganzes Spektrum von Formen der Psychotherapie bezeichnet. Allen Formen ist gemeinsam, dass die Hilfe zur Selbsthilfe für den Patienten im Mittelpunkt steht, ihm nach Einsicht in Ursachen und Entstehungsgeschichte seiner Probleme Methoden an die Hand gegeben werden, mit denen er zukünftig besser zurecht kommt.
Charakteristika und Prinzipien der Verhaltenstherapie
Nach der American Association of Behavior Therapy soll die Verhaltenstherapie (VT) vor allem menschliches Leiden lindern und die Handlungsfähigkeit erweitern. Sie beinhaltet Veränderungen der sozialen Umgebung und der sozialen Interaktion. Das Ziel ist hauptsächlich die Ausbildung und Förderung von Fähigkeiten. Die Techniken sollen dem Klienten eine bessere Selbstregulation ermöglichen. Die VT wendet experimental- und sozialpsychologische Prinzipien an und legt Wert auf eine systematische Überprüfung der Effektivität bei der Anwendung solcher Prinzipien. Die Ziele und Vorgehensweisen werden vertraglich festgelegt. Zudem orientiert sich die VT an ethischen Prinzipien. Charakteristisch für die VT ist die Konzentration auf gegenwärtige statt auf vergangene Handlungsdeterminanten, ohne diese jedoch in der Analyse der Problementstehung zu vernachlässigen. Somit liegt der Schwerpunkt auf beobachtbarem Verhalten und dessen Veränderung. Die VT unterscheidet sich von der Psychoanalyse durch folgende Annahmen: Es wird angenommen, dass Verhaltensweisen erlernt und auch wieder verlernt werden können. Das bedeutet allerdings nicht mehr wie in der Frühzeit der VT, dass man genetische Unterschiede als Ursachen von Störungen verleugnet. Gerade in den Vulnerabilitäts-Stress-Modellen wird z. B. eine ererbte Stressanfälligkeit als Voraussetzung einer Störung berücksichtigt. Außerdem fühlt man sich empirischen Methoden verpflichtet. In ihren Annahmen über ätiologische Störungsmodelle ist sie nur begrenzt Theorien verpflichtet und kann auch jederzeit neue empirische Erkenntnisse in ihre Modelle und Theorien integrieren. Daraus folgt für die VT, dass problematisches Verhalten in erster Linie als Ergebnis von Lernprozessen gesehen und durch die Verwendung von Verhaltens- und Lernprinzipien verändert werden soll. Entscheidend ist hierfür eine genaue Verhaltensanalyse (horizontal und vertikal) zur Bestimmung der augenblicklichen Determinanten des Verhaltens. Die Behandlungsstrategien werden individuell auf die Probleme der Person angepasst. Um Veränderungen zu bewirken, ist es nicht zwangsläufig notwendig, die Ursprünge des psychologischen Problems genau zu ergründen. Gerade bei gut definierten psychischen Störungen wie Zwängen oder Phobien hat sich herausgestellt, dass Heilungen möglich sind ohne genaue Analyse der Entstehungsbedingungen, wenn man die verhaltenstherapeutischen Behandlungsmanuale befolgt, ohne dass es zu Symptomverschiebungen kommt. Andererseits spricht innerhalb der VT auch nichts dagegen, eine genauere Analyse der Störungsätiologie oder der therapeutischen Beziehung vorzunehmen, wenn die manualisierten Standardmethoden versagen. Dies ist auch immer dann angebracht, wenn auf Seiten des Patienten ein ausgeprägtes Interesse an der Entstehung seiner Störung zu erkennen ist und dadurch seine Behandlungsmotivation verbessert werden kann. Auf der anderen Seite gilt jedoch auch: Die Veränderung des problematischen Verhaltens liefert keinen Aufschluss über die Entstehung der Störung.
Vorgehensweise
Eine Verhaltenstherapie beginnt gewöhnlich mit einer Verhaltensanalyse, in der die Probleme des Patienten in Abhängigkeit zu ihren aufrechterhaltenden Bedingungen und im Hinblick auf ihre Konsequenzen untersucht werden. Berühmt geworden ist die Verhaltensanalyse nach Frederick Kanfer: das SORKC-Modell. S: Reize, Situationen O: Organismus (Kognitionen und biologisch-somatische Bedingungen) R: Reaktionen, Verhalten K: Kontingenzen, (regelhafte Zusammenhänge zwischen Situationen, Verhalten und Konsequenzen) C: Konsequenzen
Obwohl die Begriffe Reiz und Reaktion leicht vermuten lassen, dass in einer Verhaltensanalyse nur das beobachtbare Verhalten analysiert wird, bezieht eine Verhaltensanalyse in der modernen Verhaltenstherapie auch Gefühle, Gedanken und körperliche Prozesse mit ein. Zudem umfasst die erweiterte Verhaltensanalyse auch Einflüsse des erweiterten Umfelds des Patienten, wie zum Beispiel das Verhalten von Familienangehörigen, Arbeitskollegen, Freunden und Bekannten. In der Zielanalyse werden die Therapieziele gemeinsam mit dem Patienten entwickelt, wobei darauf geachtet wird, ob die Ziele realistisch zu erreichen und nach der Therapie aufrechterhalten werden können. Die Therapie beruht schließlich auf einem Therapievertrag, in dem Patient und Therapeut sich gegenseitig zusichern, welche Aufgaben sie während der Therapie jeweils übernehmen. Moderne und differenziertere Formen der Verhaltensanalyse werden in Bartling et al, „Problemanalyse im therapeutischen Prozess“ , oder bei Caspar, „Psychotherapeutische Problemanalyse“, dargestellt. Hierbei wird neben der im SORKC-Modell beschriebenen Ebene des Verhaltens-in-Situationen sowohl der Entstehung und Ausformung des Problemverhaltens als auch der Ebene der Regeln, Pläne und Systemregeln der nötige Raum eingeräumt. Ein weiteres Analysefeld ist die Therapeut-Klient-Beziehung, der heutzutage in der Verhaltenstherapie viel Platz eingeräumt wird, nachdem sie in der Anfangszeit eine eher untergeordnete oder unspezifische Rolle in der Therapie einnahm. Nach der Verhaltensanalyse/Problemanalyse erfolgt gemeinsam mit dem Patienten die Bestimmung und Konkretisierung der Therapieziele, aus denen der Therapeut die einzusetzenden Interventionen auswählt und in Rücksprache und mit Zustimmung des Patienten einsetzt. siehe auch Reparenting.
In der Therapie können verschiedene verhaltenstherapeutische Verfahren eingesetzt werden, die sich auf die Verhaltens- und Zielanalyse beziehen müssen (siehe unten). Übergeordnetes Prinzip ist dabei die Hilfe zur Selbsthilfe, das heißt der Patient soll in der Therapie lernen, wieder mit dem eigenen Leben selbst zurechtzukommen. Die aus der Gesprächspsychotherapie bekannten therapeutischen Basisvariablen wie Echtheit, Empathie und uneingeschränktes Akzeptieren des Patienten sind Basisvariablen einer Verhaltenstherapie, ohne aber auch nur für die therapeutische Beziehungsgestaltung zu genügen. Darüber hinaus hat der Therapeut auch auf eine komplementäre Beziehungsgestaltung, wie bei K. Grawe beschrieben, zu achten, die sich aber nach R. Sachse nur auf die Motiv-, nicht auf die Spielebene des Patienten beziehen darf. Damit soll hier nur kurz angedeutet werden, wie theoretisch komplex heutzutage die Grundlagen einer Verhaltenstherapie aufgebaut sind und worauf ein kompetenter Verhaltenstherapeut neben seinen Methodenkenntnissen alles zu achten hat. Ein weiterer wichtiger Schritt, der neben dem Einsatz von Interventionsmethoden bedacht werden muss, ist der Aufbau einer therapeutischen Allianz bzw. von Veränderungsmotivation, die nicht einfach mit der Therapiemotivation verwechselt werden darf. Nach dem Einsatz der eigentlichen Interventionen wird ein Evaluationsprozess durchlaufen, in dem der Erfolg der durchgeführten Methoden überprüft wird. Diese ganzen Analyse- und Interventionsschritte werden in der therapeutischen Praxis nicht strikt getrennt voneinander durchgeführt, sondern bedingen sich gegenseitig und werden in einem Feedbackprozess immer wieder von neuem durchlaufen. Sehr übersichtlich wird der Ablauf bei F. Kanfer in seinem 7-Schritte-Prozessmodell des therapeutischen Prozesses seiner Selbstmanagementtherapie beschrieben. In Deutschland übernehmen gesetzliche Krankenkassen nach einem genehmigtem Antrag ihres Kassenmitglieds die Kosten für seine Verhaltenstherapie.
Verfahren der Verhaltenstherapie (Auswahl)
Um die im Therapievertrag vereinbarten Therapieziele zu erreichen, können in der Verhaltenstherapie inzwischen mehr als 50 verhaltenstherapeutische Einzelverfahren eingesetzt werden.
Einige von ihnen seien an dieser Stelle genannt: Konfrontationsverfahren Konfrontationsverfahren oder Expositionsverfahren sind Verfahren, die auf dem Modell der klassischen Konditionierung aufbauen mit dem Ziel eine Extinktion, Gegenkonditionierung oder Habituation zu erreichen. Expositionsverfahren können zum einen in massierter oder graduierter Form und in in-vivo oder in-sensu angewandt werden. Zudem können die Dauer (kontinuierlich) und das Ausmaß des Selbstmanagement (Selbst-Exposition) variiert werden. Diese Verfahren werden vorwiegend bei Phobien, Panik- und Zwangsstörungen eingesetzt. Systematische Desensibilisierung: Exposition mit hierarchisch abgestuften aversiven Stimuli, zunächst in sensu, dann in vivo, gekoppelt mit Entspannung Flooding (Reizüberflutung): Unmittelbare Konfrontation mit Stimuli in höchster Intensität Reaktionsverhinderung Screen-Technik Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) nach Francine Shapiro Extinktions (Habituations)-Training (graduierte Löschung): In vivo Konfrontation mit abgestuften aversiven Stimuli Implosion (aus tiefenpsychologischer Tradition): Konfrontation mit Angststimuli in der Vorstellung Paradoxe Intervention: Anweisungen, die den Erwartungen entgegenlaufen Angstbewältigungstraining: Kombination verschiedener Expositions-Verfahren mit anderen Bewältigungsstrategien
Operante Verfahren Operante Verfahren basieren auf dem Modell der operanten Konditionierung. Dabei wird das Verhalten mittels Verstärkung (Erhöhung der Häufigkeit (Wahrscheinlichkeit) eines Verhaltens) oder Bestrafung (Reduzierung der Verhaltenshäufigkeit) modifiziert (Verhaltensmodifikation). Positive Verstärkung geschieht durch Zuführung von angenehmen Reizen, negative Verstärkung durch Wegnahme von unangenehmen Reizen. Direkte Bestrafung geschieht durch Zuführung von unangenehmen Reizen, indirekte Bestrafung durch Wegnahme von angenehmen Reizen (z. B. time-out). Prinzipien beim Aufbau von Verhalten sind: Verhaltensformung (Shaping), Verhaltenskettung (Chaining), Prompting, Differentielle Verstärkung (Diskrimination), Fading und Generalisierung und für den Abbau von Verhalten: Löschung, Bestrafung und Vergessen. Biofeedback nach Miller Token-System (Token economy) Kontingenzverträge: Zielverhalten und Verstärker werden genau (schriftlich) festgelegt Dialektisch-behaviorale Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung nach Marsha M. Linehan Training sozialer Kompetenzen (Social Skills Training), z. B. das Assertiveness Training Programme nach Ullrich & Ullrich de Muynck; das Gruppentraining Sozialer Kompetenzen nach Hinsch & Pfingsten oder das Personal Effectiveness Training nach Libermann. Es ist ein wesentlicher Bestandteil der Dialektisch-behavioralen Therapie (DBT) nach Marsha M. Linehan Habit-Reversal-Training nach Azrin & Nunn Rollenspiel Kommunikationstraining Training von Entspannungstechniken (v. a. Progressive Muskelentspannung und Autogenes Training) Euthyme Therapie (Genusstherapie) Kognitive Ansätze [Bearbeiten] Kognitive Ansätze der VT basieren auf kognitiven Theorien des Verhaltens. Ein Individuum interpretiert und transformiert aktiv Informationen (Umgebungsreize) und strukturiert die Erfahrungen (Ordnen und Bewerten der Realität). Kognitionen beeinflussen als transformierte Reize das Verhalten. Verhaltensprobleme sind das Ergebnis falscher Annahmen, unvollständiger Schlüsse, inadäquater Selbstinstruktionen und unzureichender Problemlösefähigkeiten. Kognitive Therapie nach Aaron T. Beck Rational Emotive Therapie (RET), neuerdings explizit Rational-Emotive Verhaltenstherapie (REVT) genannt, nach Albert Ellis Ärgermanagement nach Raymond W. Novaco Stressmanagement bzw. Stressimpfungstraining nach Donald Meichenbaum Selbstverbalisation bzw. Selbstinstruktionstraining nach Donald Meichenbaum Problemlösetraining nach D’Zurilla & Goldfried Attributionstherapie (Seligman, Bandura) Schmerzmanagement nach Turk Selbstmanagement-Therapie nach Frederick Kanfer Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion nach Jon Kabat-Zinn Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) nach Steven C. Hayes Kognitive Umstrukturierung Schematherapie nach Jeffrey E. Young sonstige Verfahren [Bearbeiten] Multimodale Therapie (BASIC-ID) nach Arnold A. Lazarus
Anwendungsbereiche und Wirksamkeit
Verhaltenstherapeutische Methoden werden heutzutage bei vielen psychischen Störungen und psychosomatischen Erkrankungen eingesetzt.
Nach dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie der deutschen Bundesregierung ist Verhaltenstherapie wirksam bei: Abhängigkeiten von psychotropen Substanzen (z. B. Alkoholabhängigkeit) (Teil-) Remittierten psychotischen Erkrankungen (u. a. Schizophrenie) und wahnhaften Störungen Affektiven Störungen (z. B. Depression) Angststörungen (z. B. Agoraphobie, Spezifische Phobie (Liste), Soziale Phobie, Panikstörung, Zwangsstörung) Belastungsstörungen (z. B. Posttraumatische Belastungsstörung) Dissoziativen, Konversions- und somatoformen Störungen Essstörungen (z. B. Anorexia nervosa, Bulimia nervosa) Persönlichkeitsstörungen (z. B. Borderline-Persönlichkeitsstörung) psychosomatischen Erkrankungen (z. B. Spannungskopfschmerz, Bluthochdruck) Die Wirksamkeit kognitiv-verhaltenstherapeutischer Verfahren ist bei vielen psychischen Störungen in Hunderten von Studien belegt. Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie der deutschen Bundesregierung hat die Verhaltenstherapie daher als wissenschaftlich anerkanntes Verfahren eingestuft.
Aus der Verhaltenstherapie ist die Verhaltensmedizin hervorgegangen. Sie befasst sich mit der Anwendung verhaltenstherapeutischer Erkenntnisse auf allgemeine medizinische Sachverhalte; zum Beispiel mit der ergänzenden Behandlung von körperlichen Erkrankungen wie z. B. Bluthochdruck, Asthma, Diabetes oder Spannungskopfschmerz als auch Tinnitus mit psychologischen Mitteln. Dies geschieht etwa dadurch, dass der Patient lernt, angemessener mit seiner Erkrankung umzugehen. Die Verhaltensmedizin beschäftigt sich mit Gesundheitsverhalten.
Geschichte der Verhaltenstherapie
Die Verhaltenstherapie hat ihren Ursprung in den psychologischen Lerntheorien. Erste Schritte, die als verhaltenstherapeutisch bezeichnet werden können, nahm bereits Mary Cover Jones 1924 vor, als sie einen ängstlichen Jungen namens Peter von einer Phobie durch Konfrontation mit dem angstauslösenden Objekt therapierte. Aber erst nach dem 2. Weltkrieg gelang es, lerntheoretisch fundierte Verfahren systematisch zur Behandlung psychischer Störungen, insbesondere Phobien, einzusetzen. Dazu trug die Enttäuschung vieler psychoanalytisch arbeitender Therapeuten über die mangelnde Wirksamkeit der tiefenpsychologischen Therapien bei: So entwickelte z. B. der Südafrikaner Joseph Wolpe die Systematische Desensibilisierung, ein graduiertes Konfrontationsverfahren, in Kombination mit der Progressiven Muskelentspannung von Edmund Jacobson. Auf der anderen Seite wurde die operante Konditionierung von behavioristisch orientierten Therapeuten wie z. B. Ayllon und Azrin für die therapeutische Verhaltensmodifikation nutzbar gemacht. Mit ihr konnte erstmals mit nennenswertem Erfolg Menschen mit schwersten psychischen Störungen wie der Schizophrenie psychotherapeutisch geholfen werden. Seit den 1970er Jahren sind die Prinzipien der Verhaltenstherapie auch auf pädagogische Felder (Vorschule, Schule, Hochschule, Familie etc.) übertragen worden. Dieser Anwendungsbereich wird „Pädagogische Verhaltensmodifikation“ bezeichnet.
Seit den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hat diese klassische Verhaltenstherapie zunehmend andere Gebiete der wissenschaftlichen Psychologie und Psychotherapie aufgegriffen und integriert. Der Begriff kognitive Verhaltenstherapie oder kognitive Therapie trägt der Tatsache Rechnung, dass die Verhaltenstherapie sich außer mit der äußeren Verhaltensänderung auch mit der Veränderung der kognitiven, gedanklichen Schemata des Menschen beschäftigt. Begründer und Vorreiter der kognitiven Verhaltenstherapie waren unter anderem Albert Ellis, Aaron T. Beck und Donald Meichenbaum. Nach dieser so genannten kognitiven Wende haben sich kognitiv-verhaltenstherapeutische Therapien für die Mehrzahl der psychischen Störungen entwickelt. Zu den neuesten Therapieformen zählt beispielsweise die dialektisch-behaviourale Therapie (DBT) für emotional-instabile Persönlichkeitsstörungen. Die DBT beruht wie andere verhaltenstherapeutische Ansätze auf lerntheoretischen Grundprinzipien, ist aber sowohl von den Themen, die in die Behandlung mit einbezogen werden, als auch vom Methodenrepertoire her deutlich breiter angelegt als klassisch verhaltenstherapeutische Ansätze. So werden beispielsweise Wert- und Sinnfragen erörtert und meditative Praktiken buddhistischer Prägung in die Behandlung integriert. Manche Autoren sprechen bereits von einer „dritten Welle“ der Verhaltenstherapie, der neben der DBT auch Ansätze wie die Funktional-analytische Psychotherapie (FAP), die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) oder die achtsamkeitsbasierte kognitive Depressionstherapie zugerechnet werden. Die Verhaltenstherapie oder kognitive Verhaltenstherapie ist für viele ihrer Vertreter (zum Beispiel Klaus Grawe) auf dem Weg zu einer allgemeinen wissenschaftlichen Psychotherapie, d. h. einer Psychotherapie, die wissenschaftlich überprüfte Methoden anwendet und umfassend eklektisch integriert. Dementsprechend legen Verhaltenstherapeuten großen Wert auf die empirische Überprüfung ihrer Theorien und Methoden.
Ausbildung zum Verhaltenstherapeuten
Dieser Artikel oder Absatz stellt die Situation in Deutschland dar. Hilf mit, die Situation in anderen Ländern zu schildern.
Deutschland: Verhaltenstherapeut (psychologischer bzw. ärztlicher Psychotherapeut mit Fachkundenachweis in der Verhaltenstherapie) wird man durch eine 3- bis 5-jährige Ausbildung und die Erlangung einer staatlichen Approbation zur Ausübung eines Heilberufes. Voraussetzung für die Therapieausbildung ist, dass man einen Hochschulabschluss in Medizin oder Psychologie mit dem Schwerpunkt klinische Psychologie besitzt. Neben den Psychologen und Medizinern können Diplom-Pädagogen, Diplom-Sozialpädagogen, Diplom-Sozialarbeiter sowie Diplom-Heilpädagogen nach einer entsprechenden 3- bis 5-jährigen Weiterbildung die Zulassung als Kinder- und Jugendpsychotherapeut erlangen. Die Approbation zum Psychotherapeuten kann nach Ablegung des Staatsexamens bei der zuständigen Bezirksregierung beantragt werden. Neben einem erfolgreichen Abschluss müssen dafür weitere Voraussetzungen vorliegen (bspw. eigene geistige Gesundheit, keine Vorstrafen).
Kritik an der Verhaltenstherapie
Der Behaviorismus als frühere Grundlage der VT ist aufgrund seiner reduktionistischen Herangehensweise kritisiert worden. Im Behaviorismus geht man davon aus, dass innerpsychische Prozesse wie Denken, Fühlen usw. nicht wissenschaftlich erforscht werden können. Er geht bei seinen Forschungen des Verhaltens von einer Black Box aus. Des Weiteren ist es beinahe unmöglich, die Verursachung von psychischen Störungen durch Lernerfahrungen wissenschaftlich zu belegen. Auch zirkelhafte Schlüsse können in den Belegen für die Richtigkeit der Annahmen des Behaviorismus herangezogen werden . Heute gilt der Kognitivismus als das Leitparadigma in der Psychologie. Damit kann er auch als Grundlage der Verhaltenstherapie verstanden werden, die sich stets als praktische Anwendung der Erkenntnisse der Psychologie versteht. Die Kognitive Wende war vor allem wegen der unzureichenden Erklärungsmöglichkeiten für neuere Erkenntnisse, des Behaviorismus nötig. Der Kognitivismus wird vor allem wegen seines theoretischen Ansatzes kritisiert. „Die Konzepte der Kognitiven Psychologie (z. B. Schemata) sind vage und nicht immer gut definiert“ . Kritiker wenden ein, dass die Erklärungen der kognitiven Psychopathologie wenig hilfreich seien. So ist die Behauptung, dass bspw. Depressive negative Gedanken haben, für die Erklärung der Entstehung dieser Störung kaum hilfreich, da dies bereits Teil der Diagnose ist. Der Rückschluss, dass negative Gedanken die Depression auslösen ist nicht schlüssig, da die postulierten negativen Denkschemata Ursache, aber auch Folge der Depression sein können. Kritisiert wurde ebenfalls die Verwendung von Aversionsverfahren. Bei Aversionsverfahren werden dem Klienten in Kombination mit dem problematischen Situationen oder Gegenständen (bspw. Suchtmittel) unangenehme Reize (bspw. Medikamente, die in Kombination mit Alkohol Übelkeit hervorrufen; siehe: Disulfiram) vermittelt, was teilweise als unethisch angesehen wird. Auch bei der Konfrontationstherapie wird der Klient durch die Konfrontation mit dem angstauslösenden Objekt (Exposition) zunächst absichtlich in Angst versetzt . Diese Vorgehensweise dient jedoch dazu, es dem Klienten zu ermöglichen, mit seiner Angst umgehen zu lernen. Auch wird die Methode nie ohne Einverständnis des Patienten und stets durch Vorbereitung und Begleitung des Therapeuten verwendet.
Bei manchen Verfahren der Verhaltenstherapie besitzt der Therapeut sehr viel Macht. Beispielsweise erklärt er dem Klienten bei einer Rational Emotive Therapie soziale Zusammenhänge. Er berichtigt ihn, wenn er widerspricht, und versucht, ihn eines besseren zu belehren. Woher der Therapeut allerdings seine Sicherheit über die wahren Zusammenhänge nimmt, ist unklar. Außerhalb der RET wird deshalb auf solche „Überredungskünste“ verzichtet – schon allein deshalb, weil der Therapeut dabei meist argumentativ den Kürzeren zieht. Es gilt im Gegenteil als Kunstfehler, wenn der Patient die erforderlichen Schlüsse nicht selbst zieht, da man davon ausgeht, dass er ansonsten auch keine langfristigen Verhaltensänderungen durchführt. Aus demselben Grund gilt Transparenz über das Vorgehen als notwendige vertrauensbildende Maßnahme in der VT, damit der Patient nicht befürchten muss, gegen seinen Willen zu irgendwelchen Maßnahmen manipuliert worden zu sein. In der Psychotherapieforschung gilt als gesichert, dass die Beziehung zwischen dem Psychotherapeuten und dem Klienten für die Wirksamkeit der Psychotherapie sehr wichtig ist . Es wird der Verhaltenstherapie von ihren Kritikern oft vorgeworfen, in ihrem heute meist kognitivistischen, aber auch dem früheren behavioristischen Vorgehen, keine eigenen theoretischen Ansätze hierzu zu besitzen. Auch die Kognitive Therapie nach Beck ist kritisiert worden. Siehe hierzu: Kognitive Therapie. Psychoanalytische Kritiker knüpfen häufig an der Reduzierung der Psychologie auf eine „Laborwissenschaft“ an. Die Psychoanalyse behauptet, dass es unmöglich sei, die komplexen Zusammenhänge der Psyche in einer Laborsituation nachzustellen. Psychoanalytiker kritisieren, dass verhaltenstherapeutische Therapien vor allem die Reduzierung der Symptome zum Ziel habe, wie dies in der Verhaltenstherapie üblich ist. Durch deren Reduzierung solle nämlich keineswegs die Ursache für eine psychische Störung bekämpft, sondern lediglich ein leidiges Symptom für kurze Zeit verbessert werden. Dadurch können sich Symptome anderer Art bilden. Diesen Vorgang nennt man Symptomverschiebung. Hierdurch bezweifeln sie die Nachhaltigkeit der Verbesserungen. Die in der Verhaltenstherapie vorherrschende Neigung zur Effizienz wird ebenso kritisiert. Mit möglichst kurzen Therapien werde dem Individuum wenig Raum gegeben und lediglich die Krankheit in den Mittelpunkt des Kontakts zwischen Therapeuten und Klienten gestellt. Dies könne eine nachhaltige Heilung verhindern. Kritiker aus humanistischen Therapieformen, wie der Gesprächspsychotherapie oder der Gestalttherapie, sind der Meinung, dass die Verhaltenstherapie den Menschen von außen determiniert (bestimmt) sieht und das innere Wachstum, die persönliche Verantwortung, die Willensfreiheit geleugnet oder nicht beachtet werde.
Literatur
Margraf, J. (Hrsg.). (2000). Lehrbuch der Verhaltenstherapie. (2. Auflage; 2 Bd.). Berlin: Springer. ISBN 3-540-66439-4 Meichenbaum, D. & Turk, D.C. (1994). Therapiemotivation des Patienten. Ihre Förderung in Medizin und Psychotherapie. Ein Handbuch. Aus dem Englischen übersetzt von Lothar Schattenburg. Bern:Huber. Reinecker, H. (1999). Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Tübingen: DGVT. ISBN 3-87159-020-7 Dutschmann, A. (2000). Verhaltenssteuerung bei aggressiven Kindern und Jugendlichen. Manual zum Typ A des ABPro. Tübingen: DGVT. Rost, D. H., Grunow, P. & Oechsle, D. (Hrsg.). (1975). Pädagogische Vehaltensmodifikation. Weinheim: Beltz. ISBN 3-407-51084-5 Young, Jeffrey, Klosko, Janet & Weishaar, Marjorie: Schematherapie. Ein praxisorientiertes Handbuch. Junfermann Verlag Paderborn, 2. Auflage 2008. ISBN 978-3-87387-578-4 Hillenbrand, Clemens (2006): Einführung in die Pädagogik bei Verhaltensstörung. (3. Auflage) München. Weblinks [Bearbeiten]
Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie e.V.
Quellen
↑ a b c d Hautzinger (Hrsg.): Davison und Neale (2002): Klinische Psychologie. Weinheim: Belz PVU ↑ Smith, B.;Sechrest, L.: Treatment of Aptitude x Treatment interactions. In: J. Consul. Clin. Psychol., 59. Jg. (1991), S. 233–244.
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Gruppenpsychotherapie nutzt die in einer Gruppe auftretenden speziellen Gruppenphänomene (Gruppendynamik, Übertragung) für die Psychotherapie, indem mehrere Patienten in einer Gruppe behandelt werden.
Geschichte Der Begriff "Gruppenpsychotherapie" wurde zum ersten Mal in den frühen 1940er Jahren von Jakob L. Moreno, dem Begründer des Psychodramas, verwendet. Der Begriff "Group Analysis" (dt.: Gruppenanalyse) stammt von Trigant Burrow . Therapeutische Arbeit in Gruppen gab es schon früher: 1905 Gruppenarbeit auf einer Tuberkulosestation von Josef H. Pratt, in den 1920er-Jahren durch die Analytiker Paul Schilder, Alfred Adler, August Aichhorn, Siegfried Bernfeld, schließlich Versuche mit Gruppen auch von Lazell, Marsh und Wender. 1921 entwickelt Moreno sein Stegreifspiel in Wien, Freud schreibt Massenpsychologie und Ich-Analyse. Aus Kostengründen arbeitete man damals mit Gruppen von 30 bis 200 Teilnehmern. 1923 bis 1926 publizierte Burrow über kollektive Phänomene in Gruppen. Der Wunsch, den Einfluss der Gruppe und der Gesellschaft auf den Patienten zu verstehen sowie die Notwendigkeit, viele Patienten gleichzeitig zu behandeln, waren die Motive dieser Entwicklung. Die Gruppenpsychotherapie formal und institutionell etabliert haben - in den Jahren des Zweiten Weltkrieges - Jakob Levy Moreno und Samuel Slavson in New York, Wilfred Bion und S. H. Foulkes am Northfield Military Hospital in England.
Ein weiterer Entwicklungsschub erfolgte in den 1960er- bis 1980er-Jahren mit Michael Balint in London, Raymond Battegay in Basel, Raoul Schindler in Wien, Fritz Perls und Carl Rogers in New York, Josef Rattner in Berlin, Alice Ricciardi in Rom, Horst Eberhard Richter in Gießen und Annelise Heigl-Evers in Göttingen. Die wichtigsten Vertreter der Gruppenanalyse im deutschen Sprachraum heute sind - in Österreich - Friedl Kubelka, Felix de Mendelssohn, Alfred Pritz, Josef Shaked, Elisabeth Vykoukal sowie - in Deutschland - Mohammad Ebrahim Ardjomandi, Angelika Berghaus, Rolf Haubl, Michael Hayne, Margarethe Seidl, Volker Tschuschke, Ursula Volz.
Kategorien Grob lassen sich folgende Gruppentherapien unterscheiden.
- Gruppentherapien, deren Ziel es ist, die Persönlichkeitsstruktur der Teilnehmer durch freies Assoziieren zu erkennen und mit Hilfe der Deutungen des Therapeuten bewusst zu verändern (gruppenanalytischer Ansatz). Hier sind die individuellen Probleme der Gruppenmitglieder Gegenstand einer gemeinsamen Suche nach den Ursachen. - Gruppentherapien mit dem Ziel, das Verhalten zu verändern (verhaltenstherapeutischer Ansatz). Hier ist die Gruppe ein soziales Erfahrungsfeld (wie im Alltag), in dem der Teilnehmer sein Verhalten – unter geschützten Bedingungen – verändern und üben kann. - Gruppentherapien, bei denen die Interaktion zwischen den Gruppenmitgliedern im Mittelpunkt steht (Familien- und Paartherapie). - Gruppentherapie, bei der die Gruppenmitglieder die Bedingungen ihrer Existenz reflektieren (klientenzentrierte Therapie).
Methodik und Wirkung
Je nach Schule haben die drei Sichtweisen einen besonderen Schwerpunkt oder ergänzen einander:
Therapie des Einzelnen in der Gruppe die Teilnehmer sind Beobachter
Therapie des Einzelnen durch die Gruppe die Teilnehmer sind Co-Therapeuten, die Gruppe ist ein therapeutisches Element
Therapie der Gruppe die Gruppe selbst ist Ziel der Beobachtung und der Veränderung
Die Gruppe wirkt als Abbild der Gesellschaft und der Herkunftsfamilie jedes Teilnehmers. Grundlage ist immer ein tiefenpsychologisches Konzept, ergänzt mit Erkenntnissen aus der Sozialpsychologie und der Gruppendynamik. In der Gruppe ist kein Thema vorgegeben. Die Teilnehmer sprechen über das was sie gerade beschäftigt und teilen Einfälle und Phantasien möglichst frei mit (freie Assoziation). Der Therapeut verhält sich wohlwollend, neutral und abstinent. Dadurch entsteht eine unstrukturierte Situation, in der Teilnehmer Beziehungserfahrungen aus ihrer Kindheit und die damit verbundenen Gefühle wiedererleben können (Übertragung). Im Konflikt werden verbotene Wünsche und verinnerlichte kulturelle und elterliche Tabus deutlich. Kraft-zehrender Widerstand wird abgebaut, abgewehrte Gefühle und Energien werden frei und können neu und zunehmend hilfreicher eingesetzt werden. Die wichtigsten Wirkfaktoren sind (in dieser Reihenfolge): der Ausdruck von Gefühlen, der emotionale Zusammenhalt in der Gruppe, gemeinsames zwischenmenschliches Lernen. Erfolgreich sind Teilnehmer, die in der Gruppe zu anderen Beziehungen aufnehmen, sich selbst den anderen gegenüber öffnen, anderen Feedback geben und selbst welches erhalten und annehmen, Für den Therapeuten ist die Komplexität der Übertragungen und Gegenübertragungen der Teilnehmer untereinander und auf den Leiter und umgekehrt eine große fachliche und persönliche Herausforderung. Er arbeitet mit bewusst machen von Verdrängtem und aufdecken von Widerstand, mit der Analyse von Übertragung und Gegenübertragung, durch Einsicht und Ich-Stärkung, und ermöglicht in der Begegnung mit anderen neue emotionale Erfahrungen, unmittelbarere Beziehungen und eine neue Sicht der Welt.
Gruppengröße, Setting In der Regel wird eine Gruppengröße von sieben bis zwölf Personen als ideal angesehen. Vier Teilnehmer gelten als Minimum. Die Gruppenmitglieder sitzen – ohne Tisch – im Kreis, so dass sich alle in die Augen sehen können. Hinzu kommen ein oder manchmal auch zwei Therapeuten. In Ausbildungsgruppen ist fallweise auch ein Beobachter anwesend, der nicht am Gruppengeschehen teilnimmt. Jedes Treffen dauert anderthalb bis zwei Stunden. In der Regel gibt es kein Programm und kein vorformuliertes Ziel. Die Gruppenmitglieder initiieren und bestimmen durch ihre Beiträge den Verlauf des Gesprächs. Der Therapeut kann eine weitgehend passive Haltung einnehmen, kann aber auch aktiv ins Geschehen eingreifen. Seine wichtigste Aufgabe ist es, die unbewusste Kommunikation der Mitglieder untereinander und die Widerstände der Einzelnen gegen Veränderungen zu beobachten und zu deuten. Seine Rolle und seine Reaktionen sind zudem abhängig von der zugrunde liegenden Therapieform (siehe oben: Die verschiedenen Schulen). In der analytischen Gruppenpsychotherapie ist einerseits die freie Assoziation der Teilnehmer wichtig, andererseits die Deutungskraft des Therapeuten.
Offene Gruppe, geschlossene Gruppe In der geschlossenen Gruppe bleibt die Zusammensetzung der Teilnehmer von der ersten bis zur letzten Sitzung gleich. Geschlossene Gruppen werden vor allem im Rahmen von Ausbildungswochen angeboten. Diese Gruppe trifft sich dann täglich drei- bis viermal. Bei der – verbreiteteren – offenen Gruppe werden frei werdende Plätze mit neuen Teilnehmern besetzt. Um den therapeutischen Prozess nicht zu stören, herrscht in der Regel Anwesenheitspflicht.
Die verschiedenen Schulen
Eine Reihe von psychotherapeutischen Schulen befasst sich mit der Arbeit in Gruppen. Neben den hier ausführlich beschriebenen Richtungen sind dies auch:
Psychodrama Siehe auch Hauptartikel: Psychodrama Jakob Levy Moreno entwickelte das Psychodrama als "Therapie in der Gruppe mit der Gruppe für die Gruppe" und verband Gruppenpsychotherapie mit Soziometrie und Stegreifspiel. Der Klient (Protagonist) gestaltet als Hauptdarsteller des psychodramatischen Spiels im "Hier und Jetzt" einer Psychodrama-Bühne sein therapeutisches Thema. Bekannte Elemente sind das Doppeln, das Sharing und das Feedback. Ziel des Psychodramas ist die Aktivierung und Integration von Spontaneität und Kreativität. Konstruktives spontanes Handeln ist zustande gekommen, wenn der Protagonist für eine neue oder bereits bekannte Situation eine neue und angemessene Reaktion findet.
Gruppenanalyse Siehe auch Hauptartikel: Gruppenpsychoanalyse Psychoanalyse in der Gruppe: Slavson analysierte den Einzelnen in der Gruppe. Der "sozialen Hunger" könne nur in der Gruppe gestillt werden. Sein Ziel war die Stärkung des Ich gegenüber dem Es und dem Über-Ich. Dabei nutzte er die unstrukturierte Gruppensituation, um mittels Deutung traumatische Erinnerungen zu wecken und über deren Ausdruck in Gegenwart Dritter (Katharsis) Mitgefühl zu erfahren. Der Analytiker ist der entscheidende Wirkfaktor. Klassische Gruppenanalyse: Wilfred Bion entwickelte die "führerlose Gruppe", das Tavistock-Modell der Gruppenpsychoanalyse. Siehe auch Gruppendynamik. Jeder Mensch ist immer Mitglied einer Gruppe, nur in der Gruppe kann er seine Fähigkeiten verwirklichen. Er betrachtet die therapeutische Gruppe als Einheit, als etwas Ganzes, "wie ein Individuum". Die "analytische Diade" besteht dabei nicht aus Therapeut und Klient, sondern aus Therapeut und Gruppe. Der Gruppenanalytiker ist als "Nicht-Mitglied" zentrales Objekt für die Übertragungen der Teilnehmer. Er richtet als "Anwalt der Realität" seine Deutungen immer auf die Gruppe als Ganzes und speziell auf die Grundeinstellungen Abhängigkeit, Kampf und Flucht, Paarbildung. Diese Grundeinstellungen sind Wünsche, die den Verlauf und die Arbeitsfähigkeit einer Gruppe prägen. Betrachtet wird immer das Hier-und-Jetzt. Ziel ist immer die Arbeitsfähigkeit, also Realitätsbezug, Zeitbezug, Verstehen der Zusammenhänge, kooperatives Handeln und bewusstes Gespräch. Dazu wird der Zusammenhalt in der Gruppe gestärkt, die Abwehr gegen ursprüngliche Ängste und die Abhängigkeit von einem idealen Führer verringert.
Analytische Gruppentherapie: Foulkes betrachtet die Gruppe als Netzwerk von Beziehungen und den Gruppenanalytiker als Gruppenmitglied mit besonderer Funktion. Der Mensch ist definiert durch die Gruppe in der er lebt und durch die Gemeinschaft der er angehört. Alle Kräfte in einer Gruppe bilden die ""Gruppenmatrix", die Gruppe ist mehr als die Summe ihrer Mitglieder. Psychische Störungen wurzeln in einer Störung der Kommunikation, in der Entfremdung von der Gemeinschaft, und ist immer Ausdruck einer Störung in der Herkunftsfamilie. In der therapeutischen Gruppe versucht der Einzelne genau diese gestörte Situation wiederherzustellen (Wiederholung als Widerstand gegen Erkenntnis und Veränderung). Die Gruppe wirkt dem entgegen durch Analyse und Konfrontation. Der Weg geht vom Symptom zum Konflikt zur Konfliktlösung. Durch Ich-Training in der Gruppe gelangt der Einzelne zu seiner wahren Identität. Der Teilnehmer teilt mit den anderen seine tiefsten Sorgen, erfährt die andern als in der gleichen Situation wie er, dadurch löst sich seine Isolation auf und er fühlt sich geborgen. Wie in einem Spiegel erkennt er seine Situation in der der anderen und lernt sich und die anderen verstehen. Je stärker der Gruppenzusammenhalt, desto leichter ist es immer tiefer zu gehen und auch untereinander Konflikte auszutragen. Dadurch entsteht großes Vertrauen und persönliche Stärke. Deshalb ist Gruppentherapie auch für Patienten mit frühen traumatischen Störungen geeignet. Die Hauptarbeit wird von den Gruppenmitgliedern selbst geleistet, der Therapeut sei nur Dirigent. Der Therapeut interveniert nur, wenn die Gruppe nicht weiterkommt. Er deutet sowohl die Lebensgeschichte des Einzelnen, als auch die Prozesse in der Gruppe, die als Inszenierung der kollektiven Phantasien verstanden wird.
Göttinger Modell: Heigl und Heigl-Evers entwickelten das Göttinger Modell für Ich-schwache schwer gestörte Patienten.
Der Gruppenprozess soll dem Einzelnen in drei Stufen Einsicht in seine Konfliktstruktur vermitteln. ° Psychoanalytisch-interaktionelle Therapie Positives Beziehungsangebot des Therapeuten, stützende Arbeit im Hier-und-Jetzt, keine Deutung, wenig Konfrontation. Ziel ist Vertrauen schaffen.
° Psychoanalytisch orientierte Therapie Weniger Strukturierung, etwas mehr Konfrontation, abstinent stützend. Frühkindliche Abhängigkeit von den Eltern soll reduziert werden.
° Analytische Therapie Der Therapeut verhält sich abstinent, fördert dadurch Regression, durch Deutung werden Ich-Defizite deutlich. Durch Nachreifung wird Autonomie möglich.
Gestalttherapie Siehe auch Hauptartikel: Gestalttherapie Fritz Perls entwickelte - aus der "Einzelarbeit vor der Gruppe" zum Zwecke der Demonstration - die Gestaltgruppe. Die Gruppe wird nicht nur als Energieverstärker benutzt, sondern die Beziehungen und die Dynamik der Teilnehmer untereinander zum Thema gemacht wird. Bekannte Elemente sind der heiße Stuhl und das Feedback. Kontaktstörung, Gewahrsein, dialogisches Prinzip und der Umgang mit Aggression sind Schlüsselelemente. Die Sitzung endet mit einem Sharing, in dem die Teilnehmer einander Feedback geben. Ziel ist immer die Herstellung von Kontakt durch Gewahrsein seiner selbst und der anderen.
Casriel-Gruppe Siehe auch Hauptartikel: Casriel-Therapie Dan Casriel entwickelte die kathartische Casriel-Therapie. Durch Erfahrung von emotionaler Offenheit, verbunden mit körperlicher Nähe zu einem anderen Menschen, werden frühe Verletzungen aktiviert, und die damit verbundenen Gefühle, negativen Einstellungen, körperlichen Blockierungen und zerstörerischen Verhaltensmuster durchgearbeitet und gelöst. Dadurch entwickelt sich Lebensfreude und Lebensenergie.
Therapeutische Gemeinschaft Siehe auch Hauptartikel: Therapeutische Gemeinschaft Diese Verknüpfung verschiedener Gruppentherapieformen fördert gegenseitiges Lernen, soziale Verantwortung und spirituelles Wachstum. Die Therapeutische Gemeinschaft dient neben der Selbstorganisation des Alltagslebens insbesondere als ein Lern- und Übungsfeld, um in einem geschützten Rahmen Neues wagen zu können und über emotionale Neuerfahrungen emotionale Muster sowie Verhaltens- und Denkmuster zu verändern. Das Zusammenleben in der Gemeinschaft soll die dafür notwendige sichere und zur Veränderung ermutigende Atmosphäre schaffen. Dazu gehört der Austausch unter Betroffenen über gefundene Lösungswege, sowie auf den anderen zu reagieren, seine eigenen Wahrnehmungen und emotionalen Reaktionen auf dessen Verhalten ernst zu nehmen und dem anderen mitzuteilen, und sich so gegenseitig im Genesungsprozess zu unterstützen. Sich selbst in den Augen und Herzen seiner Mitmenschen begegnen uns im Spiegel unseres Nächsten zu finden. Wesentlich sind klare Strukturen und verbindliche Absprachen und Regeln. Die Therapeutische Gemeinschaft trifft sich mehrmals die Woche zu so genannten Komitees und zu einer Vollversammlung. Die therapeutische Gemeinschaft ist ein System gegenseitiger Unterstützung in der Klinik, welches einen heilsamen und nährenden Rahmen für die Behandlung der Patienten bietet. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil im Konzept milieu- und soziotherapeutischer Arbeit. Die Beteiligung der Patienten an der Organisation und der Gestaltung der Abläufe in der Klinik fördert auch die Fähigkeit zur Bewältigung lebenspraktischer Aufgaben. Die Therapeutische Gemeinschaft ist verbreitet in psychosomatischen Kliniken und Sucht-Kliniken.
Großgruppe In der Großgruppe werden Patienten in Gruppen mit bis 200 Teilnehmern behandelt, meistens jedoch 30 bis 80. Die Sitzungen werden von einem erfahrenen Therapeuten geleitet. Entwickelt wurde die Großgruppentherapie ursprünglich, weil für zu viele Patienten zu wenig Therapeuten zur Verfügung standen. Sie hat sich jedoch fallweise im klinischen Setting etablieren können, auch für die Behandlung schwerer Störungen, wie Psychosen und Persönlichkeitsstörungen, andererseits konnte sie - als seriöse Alternative - im Rahmen des Selbsterfahrungswelle nach 1968 Ansehen gewinnen. Gearbeitet wird entweder klassisch nach Bion und Foulkes oder nach Alfred Adler, für den die Bildung eine Gemeinschaftsgefühls als Basis zur Lösung der Lebensaufgaben Arbeit - Liebe - Gemeinschaft wesentlich war. Je nach Gruppenleiter steht entweder ein Teilnehmer über mehrere Sitzungen im Zentrum der Aufmerksamkeit, alle anderen lernen durch Beobachtungslernen und durch teilnehmende Beobachtung, oder ein Thema wird multifokal diskutiert oder es gilt das klassisch-psychoanalytische Prinzip des freien Assoziierens. Bedeutende Großgruppenleiter im deutschen Sprachraum heute sind Felix de Mendelssohn und Josef Shaked, beide leben in Wien und arbeiten auch in Altaussee. Bekannt, freilich auch umstritten waren der verstorbene Friedrich Liebling (Zürich) und Josef Rattner (Berlin), der heute zurückgezogen lebt und keine Gruppen mehr leitet.
Verwandte Gruppen Die folgenden Gruppen werden nicht zur klassischen Gruppenpsychotherapie gezählt, wobei es bei manchen durchaus fließende Übergänge gibt. Dennoch haben sie oft therapeutische Wirkung.
^ Selbsterfahrungsgruppen und Encountergruppen sollen Lernen über das eigene Verhalten in der Gruppe eröffnen. Psychische Stabilität ist Teilnahmevoraussetzung. ^ Die T-Groups der Gruppendynamik haben oft therapeutischen Charakter und fast immer eine therapeutische Wirkung, auch die Großgruppen des Organisations-Laboratoriums. ^ Als Grupo Operativo wird eine analytische Gruppentechnik bezeichnet, die von Enrique Pichón-Rivière für Jugendliche entwickelt wurde. Er gab ihnen die Aufgabe, sich selbst zu betreuen. ^Auch in Selbsthilfegruppen unterstützen sich Betroffene gegenseitig. Bekannt sind A-Gruppen nach dem 12-Schritte-Modell. Sie werden oft vorbereitend, begleitend und nachsorgend-stabilisierend parallel zur Therapie eingesetzt. ^Psychoedukation bedeutet Schulung psychisch Kranke, manchmal gemeinsam mit den Angehörigen, damit sie Krankheit und Behandlung besser verstehen. Erfahrungsaustausch und Hilfe zur Selbsthilfe sind wesentliche Inhalte. ^Trainings- und Übungsgruppen zur Stress- oder Angstbewältigung, zu Kommunikations- und Selbstsicherheitstraining folgen oft einem vorgegebenen Ablauf mit klar strukturierten verhaltenstherapeutischen Übungen nach einem Manual. ^Gruppensupervision und analytische Balint-Gruppen behandeln die Beziehungen von Therapeuten, Pädagogen oder anderer psychosozialer Berufe zu Klienten und Patienten und ist zentriert um die berufliche Kompetenz.
Ausbildung des Gruppentherapeuten Jede Schule hat ihr eigenes Ausbildungskonzept. Dabei unterscheiden sich die Zugangsvoraussetzungen je nach Land und Psychotherapiegesetz. In einigen Ländern ist eine vorausgehende Ausbildung in einem einzeltherapeutischen Verfahren vorgeschrieben. Allen gemeinsam ist intensive Selbsterfahrung in der Gruppe, Arbeit als Co-Therapeut und als Therapeut unter Supervision.
In Österreich werden - für die Eintragung in der Psychotherapeutenliste des Bundesministeriums für Gesundheit - gefordert: - das Psychotherapeutische Propädeutikum (765 Std. Theorie, 480 Std. Praktikum, 20 Std. Supervision und 50 Std. Selbsterfahrung), sowie anschließend daran - das Fachspezifikum mit 300 Stunden Theorie, mindestens 200 Stunden Selbsterfahrung, 550 Stunden Praktikum mit 30 Std Praxissupervision, weitere 100 Stunden je nach Schwerpunktbildung der Methode und folgende - Praxis: 600 Stunden therapeutische Arbeit und 120 Stunden Supervision. Das Altausseer Zertifikat kann nach zehnmaliger Teilnahme am zehntägigen Fortbildungs-Workshops erworben werden - viermal als Teilnehmer, dreimal als Beobachter, dreimal als Co-Leiter. Außerdem sind in der ersten Studienphase zwei theoretische Referate und zwei Supervisionsfälle zu präsentieren, sowie zwei Aufnahmegespräche zu führen. Für die Ausbildung von Gruppenpsychotherapeuten, Supervisoren und Gruppendynamikern ist die Teilnahme an Selbsterfahrung Zulassungsbedingung. In Selbsterfahrungsgruppen gibt es stets fließende Übergänge zu den verschiedenen Formen der Gruppenpsychotherapie (analytisch, klientenzentriert, gestalttherapeutisch, gruppendynamisch).
Literatur
aktuell Raymond Battegay: Die Gruppe als Schicksal, 2000, ISBN 3-525-45881-9 Eric Berne: Grundlagen der Gruppenbehandlung. Gedanken zur Gruppentherapie & Interventionstechniken, 2005, ISBN 3-87387-424-5 Michael Hayne, Dieter Kunzke: Moderne Gruppenanalyse, 2004, ISBN 3-89806-312-7 Karl König: Psychoanalytische Gruppentherapie, 1992, ISBN 3-525-45732-4 Silke M. Lanzerath: Neue Segel setzen. Gruppentherapie: Selbsterfahrung und Entwicklungschancen, 2007, ISBN 3-89189-157-1 Joachim Lindner, Gabriele Angenendt, Volker Tschuschke: Gruppentherapie in der Psychosomatischen Rehabilitation, 2007, ISBN 3-89806-308-9 Joachim Lindner, Volker Tschuschke: Gruppentherapie in der Psychosomatischen Rehabilitation, 2007, ISBN 3-89806-308-9 Dankwart Mattke, Luise Reddemann, Bernhard Strauß: Keine Angst vor Gruppen! Gruppenpsychotherapie in Praxis und Forschung. 2009, ISBN 978-3-608-89077-8 Hilarion Petzold: Modelle der Gruppe in der Psychotherapie, 1986, ISBN 3-87387-258-7 Alfred Pritz, Elisabeth Vykoukal (Hg.): Gruppenpsychoanalyse, 2003, ISBN 3-85076-578-4 Dirk Revenstorf: Psychotherapeutische Verfahren IV. Gruppen-, Paar- und Familientherapie, ISBN 3-17-012663-6 Peter F. Schmid: Personenzentrierte Gruppenpsychotherapie, 2 Bd.Handbuch, 1994 Serge K.D. Sulz: Von der Balintgruppe zur Interaktionelle Fallarbeit, ISBN 3-932096-27-4 Volker Tschuschke: Kurzgruppenpsychotherapie, 2003, ISBN 3-211-83886-4 Volker Tschuschke: Praxis der Gruppenpsychotherapie, 2001, ISBN 3-13-127971-0 Klassiker Trigant Burrow: Die Gruppenmethode in der Psychoanalyse, 1926 Michael Balint: Der Arzt, sein Patient und die Krankheit, 1960, ISBN 3-608-94003-0 Raymond Battegay: Gruppenpsychotherapie und klinische Psychiatrie, 1963 Raymond Battegay: Der Mensch in der Gruppe, Bd. 1..3, 1963 Haim Ginott: Gruppenpsychotherapie mit Kindern, 1966 (en: 1961), ISBN 3-407-13102-X Josef Rattner: Gruppenpsychologie und Großgruppentherapie, 1970, ISBN 3-933939-83-6 Irvin D. Yalom: Theorie und Praxis der Gruppentherapie - Ein Lehrbuch, 1970, (2005) Wilfred R. Bion: Erfahrungen in Gruppen und andere Schriften, 1971, ISBN 3-12-900730-X Wilfred R. Bion: Die Tavistock-Seminare, 1971/2007, ISBN 3-89295-777-0 Stefan de Schill: Psychoanalytische Therapie in Gruppen, 1971, ISBN 3-12-907640-9 Horst Eberhard Richter: Die Gruppe, 1972, ISBN 3-498-05672-7 Jacob L. Moreno: Gruppenpsychotherapie und Psychodrama, 1973, ISBN 3-13-378702-0 Michael und Enid Balint: Psychotherapeutische Techniken in der Medizin, 1976 (en: 1961), ISBN 3-12-900800-4 Carl Rogers: Encounter Gruppen, 1974 (en: 1970), ISBN 3-463-00571-9 Sigmund H. Foulkes: Praxis der gruppenanalytischen Psychotherapie, 1978/2007, ISBN 3-88074-490-4 Annelise Heigl-Evers: Konzepte der analytischen Gruppenpsychotherapie, 2. Aufl. 1978, ISBN 3-525-45286-1 Annelise Heigl-Evers: Handbuch der Ehe-, Familien- und Gruppen- Therapie, 1982, ISBN 3-463-00561-1 Irvin D. Yalom: Im Hier und Jetzt - Richtlinien der Gruppenpsychotherapie (1983) 2005, ISBN 3-442-73236-0 Fachzeitschriften Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik, seit 1968 4x/Jahr, ISSN 00174947, Vandenhoek & Rupprecht Jahrbuch für Gruppenanalyse und ihre Anwendungen, hg. Mohammed Ebrahim Ardjomandi Österreichisches Jahrbuch für Gruppenanalyse, hg. von Wolfgang Martin Roth und Josef Shaked
Verbände Deutscher Arbeitskreis für Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik, DAGG Österreichischen Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik, ÖAGG die Schweizerische Gesellschaft für Gruppenpsychologie und Gruppendynamik, SGGG wurde 1992 in die Schweizerische Gesellschaft für Gruppendynamik, SGGD überführt und 2000 ganz aufgelöst. Internationale Arbeitsgemeinschaft für Gruppenanalyse Group Analytic Society American Group Psychotherapy Association American Society for Group Psychotherapy and Psychodrama International Association of Group Psychotherapy
Siehe auch Psychotherapie Gruppentherapeutische Vereinigungen Liste bedeutender Psychotherapeuten, Abschnitt Gruppenanalytiker
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Psychodrama (von griechisch ψυχη psyche „Seele“, und δράμα drama „Handlung, Vorgang“) ist eine Methode der Gruppenpsychotherapie, entwickelt vom österreichischen Arzt Jakob Levy Moreno (1890 - 1974) in Wien.
Psychodrama als Gruppenpsychotherapie
Das Psychodrama entstand als "Therapie in der Gruppe mit der Gruppe für die Gruppe" aus dem Stegreiftheater und war die erste Gruppenpsychotherapie. Der Klient (Protagonist) gestaltet als Hauptdarsteller des psychodramatischen Spiels im "Hier und Jetzt" einer Psychodrama-Bühne sein therapeutisches Thema. Als Mitglied der Gruppe erhält der Protagonist mit deren Erlaubnis die Möglichkeit, seine eigene Thematik oder diejenige der Gruppe mit der Unterstützung des "Spielleiters" und ausgewählten Hilfs-Ichs zu bearbeiten. Die Zuschauer lassen sich vom Spiel des Protagonisten berühren, greifen mit Unterstützung des Spielleiters ein und geben zu guter Letzt wie alle anderen Mitspieler eine empathische und, wo notwendig, kritische Rückmeldung. Allerdings kann es auch bei nicht oder kaum ins Spiel integrierten Zuschauern zu einer heilsamen Erschütterung, einer Katharsis, kommen. Ziel des Psychodramas ist die Aktivierung und Integration von Spontanität und Kreativität. Konstruktives spontanes Handeln ist zustande gekommen, wenn der Protagonist für eine neue oder bereits bekannte Situation eine neue und angemessene Reaktion findet (Moreno,1959,S.34).
Dieses Ziel wird auch für den Gruppenprozess als Ganzes angestrebt. Mit Hilfe der Gruppe soll sich der Protagonist von festgefahrenen Rollenstrukturen oder Rollenkonserven befreien. Wir lernen soziale Rollen, welche den Individuen und individuellen Situationen nicht gerecht werden können. Je mehr die natürliche Kreativität – nach Moreno als "allerhöchste nukleare Struktur des Universums" – durch verschüttete "Spontanität" nicht zum Einsatz kommen kann, umso mehr sind wir an festgefahrene Rollenbilder verhaftet. Psychodrama-Techniken sollten nur von Therapeuten angewendet werden, die in der Lage sind, mit den aufgewirbelten Emotionen der Mitspieler umzugehen und diese aufzufangen.
Konzepte des Psychodramas
Moreno fügte wesentliche Konzepte für das Verständnis zwischenmenschlicher Beziehungen in die Psychotherapie ein. Wo die klassische Psychoanalyse die intrapsychische Energie und deren Umwandlungen im Beziehungsdreieck von Es, Ich und Über-Ich beschrieben hatte und die Analytische Psychologie von C.G. Jung die Bedeutung der Archetypen als Niederschlag der evolutionären psychischen Entwicklung des Menschen betonte, sah Moreno den Menschen als einen Handelnden, der hauptsächlich mittels nonverbaler Kommunikation mit seiner beseelten Umwelt in Beziehung tritt. Moreno sah dabei die Rolle als kleinste Handlungseinheit, das Tele als kleinste Beziehungseinheit dieser Interaktion.
Methode und Techniken
Das Psychodrama besteht aus drei Phasen: Lockerung und Erwärmung Spiel und Handlung Integration (Sharing und Feedback durch die Gruppe)
Doppeln Das Doppeln hilft dem Protagonisten, seine nicht bewussten oder abgewehrten Motive und Gefühle zu erkennen. Ein Teilnehmer stellt sich hinter ihn und flüstert ihm die Gefühle und Gedanken über die Schulter, die er intuitiv durch Einfühlung und Gegenübertragung beim Protagonisten wahrnimmt. Der Protagonist prüft dann, ob das Gehörte mit selbst Gedachtem oder Gefühlten übereinstimmt. Wenn ja, nimmt er es in seine Spielhandlung mit auf, wenn nein, schüttelt er verneinend den Kopf.
Sharing und Feedback
Beim Sharing berichten zuerst die Mitspieler und dann die Zuschauer, was sie erlebt, und was sie für ihr eigenes Leben daraus gelernt haben. Beim Feedback geben die Mitspieler und die Zuschauer direkte Rückmeldungen an den Protagonisten. Beides dient der Verarbeitung des Erlebten und der Interaktion der Erfahrungen und Erkenntnisse und ist wesentlicher Bestandteil des Psychodramas als Gruppenpsychotherapie.
Transpersonales Psychodrama
Mittlerweile gibt es viele neue Psychodrama-Konzepte und Schulen. Das transpersonale Psychodrama beispielsweise ist viel konfrontativer beim Doppeln, benutzt auch Gesprächsrunden als Bühne und integriert systemische Methoden. Aber auch der Leiter hat beim transpersonalen Psychodrama eine etwas stärkere Rolle als im herkömmlichen Psychodrama. Es wird weniger dem Zufall und den Selbstheilungskräften überlassen (was der Ebene von Selbsterfahrung entspricht), sondern der Protagonist wird in einen Veränderungsprozess gelenkt. Am Institut für Transpersonales Psychodrama - Hamburg wird damit experimentiert und geforscht, verwandte Methoden wie z.B. systemische Lösungen, Skulpturen (V. Satir), Innenreisen und gestalttherapeutische Ansätze zu integrieren. Im Psychotherapeutischen Institut Bergerhausen - Duisburg wird seit 1980 eine Integration des Psychodramas in das Menschenbild und die Werthaltungen der Humanistischen Psychologie durch Hans-Werner Gessmann in Theorie und Praxis entwickelt und Humanistisches Psychodrama gelehrt. Der Begriff Humanistisches Psychodrama ist wie folgt belegt: Grubitzsch, S.; Weber, K.(Hrsg.):Psychologische Grundbegriffe - ein Handbuch, rowohlts enzyklopaedie 3-499-55588-3, Reinbek, Hamburg, 1998, Seiten 451-452 sowie bei Benesch, Hellmuth (Autor), Enzyklopädisches Woerterbuch Klinische Psychologie und Psychotherapie, Beltz, PsychologieVerlagsUnion, Weinheim, 1995, Seiten 300-308.
Psychodrama mit Kindern und Jugendlichen in der Schule
Die Anwendung in der Schule ist erprobt. Psychodrama kann in der schulischen Arbeit eingesetzt werden, sofern keine therapeutischen Ziele verfolgt werden. Deshalb ist auch der Begriff "szenische Darstellung" statt "Psychodrama" verbreitet. Die Erziehungs- und Bildungsinstitutionen sind durch ihren Auftrag daran gehindert, therapeutisch tätig zu werden. Dies kann nur im Einverständnis mit den Eltern und Jugendlichen geschehen, also wenn hierüber ein Vertrag mit einem dazu kompetenten Therapeuten geschlossen wird.
Begründung für eine psychodramatische Bildungsarbeit
Anlass für die Anwendung der psychodramatischen Bildungsarbeit und verwandter Methoden (für Fremdsprachenunterricht: Psychodramaturgie Linguistique, aus Frankreich: Jeux Dramatique) im praktischen Schul-Alltag ist die weit verbreitete Beziehungslosigkeit zwischen Lehrern und Schülern. Sie stellt eine der Ursachen für breites Versagen, Aussteigertum und Aggression in der Schule dar. Wenn Lehrer aus der emotionalen Beziehung zu ihren Schülern aussteigen, steigen Schüler aus der Schule aus und verlieren ihre Neugier zu Bildungsinhalten. Psychodramatische Bildungsarbeit ist geeignet, einerseits das Beziehungsdefizit zwischen Lehrer (Selbstverständnis "reiner Fachlehrer" = Unterrichtsvollzugsbeamter) und Schülern, wie auch unkooperatives, auffälliges Verhalten von Kindern und Jugendlichen in der Gruppensituation einer Schulklasse zu bearbeiten.
Funktionsweise der psychodramatischen Methoden
Ziel der Arbeit mit psychodramatischen Methoden ist die Übertragung von alternativen Verhaltensmustern in die eigene Rolle. Das Kind oder der Jugendliche kann durch Doppeln, Rollentausch, Rollenwechsel, Spiegeln oder den "Therapeuten" als agierenden Deuter, Rückmeldung erhalten über Rollenverhalten und was dies bewirkt. Ein Rollentausch findet nicht auf der realen Ebene statt. Stattdessen ist ein Arbeiten auf der Symbolebene ausschlaggebend für die erfolgreiche Anwendung der Psychodramatechnik. Also nicht der Schüler nimmt die Rolle des Lehrers ein und der Lehrer spielt den rebellischen Schüler, sondern durch Symbole und symbolische Handlungen wird das Thema abgearbeitet. Das "Soziodrama" bietet beispielsweise diese Möglichkeiten. Mittels Verfremdung in einem gestellten Szenario (z.B. Schulhof und Gewalt, Spielplatz und Störer, Schulfest und Drogenkonsum) und der Übernahme von Rollen aus diesem Szenario können die Schüler eine Art der Verhaltensweise ausleben. Durch einen Rollentausch mit den jeweils Andersdenkenden wird ihnen anschließend ein dazu konträres Gefühl vermittelt. So können sie Andersdenkende erleben und sich in deren Denkweise einfühlen. Der Lehrer wird dabei Beobachter bleiben oder Rollen übernehmen, die nicht der Lehrerrolle entsprechen. Ein weiteres Feld sind Unterrichtssequenzen, die psychodramatische Methoden verwenden. Diese Form bringt Bewegung in den Unterricht und verbessert die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler, da sie selbst ihre Gedanken und Vorstellungen zu dem Thema des Unterrichts darstellen. Und vor allem, es macht allen Beteiligten Spaß.
Unterrichtsbeispiele mit Methoden des Psychodramas
Soziometrie und Aktionssoziometrie: Aufstellung nach Alter, Herkunft, Arbeitsort, Hobby, nach Wünschen für eine Klassenfahrt, nach Zimmerbelegung
Monodrama (Einzelarbeit mit Schülern) Klärung von Aufgabenverteilungen in einer Projektarbeit, Orientierung bei dem Verbalisieren einer Projektdokumentation, Klärung von Beziehungen in der Klasse, mit anderen Schülern, Beziehungsaufstellung unter Kollegen
Soziodrama, Gesellschaftliche Konflikte darstellen Kontrahenten der aktuellen politischen Bühne werden nachgespielt und im freien Spiel interpretiert. Danach folgt eine weitere Sequenz mit Rollentausch in die jeweilig andere Rolle; Zum Schluss: Sharing und Erlebnisse in den Rollen (Rollenfeedback) Symboltechnik, bewegte/unbewegte Skulpturen und Standbilder zur Darstellung von Unterrichtsinhalten
- aus der Elektrotechnik: Darstellung von Spannung, Strom; Ladungsverhältnisse im Kondensator; Verhalten des Elektronenstroms im Leiter/Nichtleiter
- aus der Informatik: Spielen von Kontrollstrukturen und Algorithmen in einem Wegespiel für Roboter; Objektorientierte - Programmierung: Darstellung von Objekten, Klassen, Eigenschaften und Tätigkeiten durch bewegte Skulpturen - aus der Wirtschaftskunde und Politik: Darstellung einer wichtigen Aussage in einem Vortrag mit einer Skulptur oder einem Standbild; vor einem Film: Darstellung eines passenden Begriffes als Warming-up - Vignetten zu Darstellung und Besprechung von Konfliktsituationen
Konflikt mit dem Chef wegen Urlaubswunsch; Konflikt als Verkäufer mit einem Kunden: Kennenlernen der Perspektive des Kunden bei der Bestellung von Produkten
A. Aichinger, W. Holl: Psychodrama-Kinder-Gruppentherapie. Mainz: Grünewald, 1997, ISBN 978-3-7867-2001-0 A. Aichinger, W. Holl: Kinder-Psychodrama in der in der Familien- und Einzeltherapie, im Kindergarten und der Schule. Mainz: Grünewald, 2002, ISBN 3-7867-2413-X F. v. Ameln, R. Gerstmann, J. Kramer: Psychodrama (2. Aufl.), Springer Verlag, 2009, ISBN 3-540-89912-9 J. Fürst, K.Ottomeyer, H.Pruckner: Psychodrama-Therapie, Facultas 2004, ISBN 3-85076-663-2 J.L. Moreno: Gruppenpsychotherapie und Psychodrama, Thieme Verlag, Stuttgart 1959 H. Pruckner: Das Spiel ist der Königsweg der Kinder inScenario Verlag, München 2001, ISBN 3-929296-10-1 Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, ISSN 1619-5507 Internationale Zeitschrift für Humanistisches Psychodrama, Duisburg: Verlag des PIB Zeitlinger-Hochreiter: Kompendium der Psychodrama-Therapie, inScenario 1996 D. Gipser und S. Kunze "Katzen im Regen" edition Zebra 1989 H.W. Gessmann: Humanistisches Psychodrama I - III, Verlag des PIB Duisburg, ISBN 3-928524-23-2 P. Soppa: Psychodrama - Praxishandbuch, Leske und Budrich2001, ISBN 3-8100-2903-3 A. Ploeger, K. Greven, L. Gührs, B. Schmidt: Tiefenpsychologisch fundierte Psychodramatherapie, Kohlhammer Verlag 1983, ISBN 978-3-17-005615-2
Weblinks
Deutscher Fachverband für Psychodrama (DFP e.V.) Definition Psychodrama bei der TU Braunschweig Bibliography of Psychodrama Literatursuchmaschine (auch dt. Bücher und Zeitschriftenartikel)
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